Es ist ein stilles Beben, das sich quer durch deutsche Amtsgerichte zieht: Die Zahl der Zwangsversteigerungen nimmt wieder zu – und das spürbar.
Nach Jahren rückläufiger Verfahren, in denen der Immobilienboom selbst finanziell angeschlagene Eigentümer oft noch in letzter Minute rettete, kehrt nun die Realität steigender Zinsen und platzernder Finanzierungen zurück.
2024 wurden laut Argetra deutschlandweit über 13.000 Objekte zur Zwangsversteigerung aufgerufen, ein Plus von rund 20 % gegenüber dem Vorjahr. Tendenz: weiter steigend.
Was zunächst nach einer Gelegenheit für findige Investoren klingt, ist in Wahrheit ein komplexes Zusammenspiel aus wirtschaftlicher Not, rechtlichen Besonderheiten – und viel Unsicherheit.
Wenn die Finanzierung kippt
Die Ursachen für den Anstieg sind schnell benannt: gestiegene Bauzinsen, teure Anschlussfinanzierungen und stagnierende Verkaufspreise. Was früher durch lukrative Weiterverkäufe oder Umschuldungen noch auffing, endet nun vermehrt im Zwangsversteigerungssaal – oft in Wohnlagen, die noch vor drei Jahren als unerschwinglich galten.
Denn während die Immobilienpreise in vielen Regionen leicht nachgeben, bleiben die monatlichen Raten für Eigentümer hoch.
Wer sich in der Boomphase zwischen 2019 und 2021 zu knapp kalkulierten Finanzierungen hinreißen ließ, hat nun oft ein Problem: Die Anschlussfinanzierung fällt bei 4 oder 5 % Zinsen plötzlich doppelt so teuer aus wie die ursprüngliche Rate.
Versteigerung statt Verkauf – das letzte Mittel der Gläubiger
Wenn Zahlungen ausbleiben und die Bank den Kredit kündigt, bleibt meist nur ein Ausweg: die Zwangsversteigerung. Ein Antrag beim Amtsgericht genügt – und das Objekt wird öffentlich ausgeschrieben.
Dabei geht es längst nicht mehr nur um marode Immobilien in Problemvierteln. Immer öfter stehen gut erhaltene Einfamilienhäuser, Eigentumswohnungen und sogar ganze Mehrfamilienhäuser zur Versteigerung.

Wer kauft, kann unter bestimmten Voraussetzungen echte Preisvorteile erzielen – doch nur, wenn er weiß, worauf er sich einlässt.
Chancen für Käufer
Die Verlockung ist groß: Keine Maklerprovision, teils deutlich unter Verkehrswert – so lautet das Versprechen vieler Immobilienportale, die inzwischen eigens auf Zwangsversteigerungen spezialisiert sind. In der Praxis sind die Schnäppchen seltener geworden.
Denn: Der Markt ist inzwischen professionell durchleuchtet. Investoren, Bauträger und spezialisierte Käufer treten in Konkurrenz zu privaten Interessenten. Viele Objekte gehen am Ende für 80–100 % des Verkehrswerts weg – in begehrten Lagen oft sogar darüber.
Dazu kommt: Wer mitbietet, kauft „wie gesehen“. Innenbesichtigungen sind in der Regel nicht möglich. Ob der Keller feucht ist, der Mieter zahlungswillig oder das Dach asbestverseucht – das zeigt sich meist erst nach Zuschlag.
„Der reale Zustand ist oft eine Black Box“, sagt Jens Falk, Fachanwalt für Miet- und Immobilienrecht. „Und wer ersteigert, ist sofort Eigentümer – mit allen Rechten und Pflichten.“
Verkehrswert ≠ Marktwert – und keine Rückgabe möglich
Ein weiterer Irrtum: Der vom Gutachter angesetzte Verkehrswert ist keine Preisempfehlung, sondern eine theoretische Größe – basierend auf Baujahr, Lage und vermuteter Substanz. Er berücksichtigt jedoch keine verdeckten Mängel, Mietrückstände oder anstehende Sanierungen.
„Was wie ein 300.000-Euro-Haus aussieht, kann in Wahrheit ein Fass ohne Boden sein“, warnt Falk. Und zurückgeben lässt sich die Immobilie nicht. Der Zuschlag ist rechtlich bindend – ab dem Moment trägt der Käufer alle Lasten, vom Grundsteuerbescheid bis zur Heizölrechnung.
Hoffnung auf Gerechtigkeit – aber kein Ort für Spekulanten
Wer bei Versteigerungen mitbietet, trifft auf eine merkwürdige Mischung aus Schnäppchenjägern, Erben, Familien mit kleinem Budget – und professionellen Investoren. Für die einen ist es ein letzter Rettungsversuch ins Eigenheim, für andere eine stille Auktion mit kalkuliertem Risiko.
Doch hinter jeder Versteigerung steht auch eine Geschichte des Scheiterns. Familienschicksale, wirtschaftlicher Absturz, psychischer Druck – all das spielt keine Rolle mehr, wenn der Gerichtsvollzieher das Objekt aufruft. Was bleibt, ist das Verfahren – nüchtern, emotionslos, endgültig.