27. Dezember, 2024

Politik

Zurück zu den Wurzeln? Warum die SPD plötzlich wieder Arbeiterpartei sein will

Während in Deutschlands Industrie die Arbeitsplätze bröckeln, entdeckt die SPD ihre alte Rolle als Schutzmacht der Arbeitnehmer. Ein Blick auf Versäumnisse, Wahlkampfrhetorik und eine Wirtschaftspolitik, die kaum Antworten liefert.

Zurück zu den Wurzeln? Warum die SPD plötzlich wieder Arbeiterpartei sein will
Seit Mitte 2023 sind fast 100.000 Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe verloren gegangen. Besonders der Mittelstand leidet unter hohen Energiekosten und fehlenden Innovationen.

Es ist einer dieser grauen Dezembertage, an denen die Wintersonne nur für Sekunden durch die Wolkendecke blitzt. In der Innenstadt ziehen Hunderte Beschäftigte von ThyssenKrupp mit Fackeln und roten IG-Metall-Jacken durch die Straßen.

Ihre Jobs stehen auf dem Spiel, das Stahlwerk soll dichtgemacht werden. Doch an diesem Tag ist ihnen einer beigestanden, der sonst in Berlin auf Ministerbühnen spricht: Hubertus Heil, SPD, Arbeitsminister.

„Ihr kämpft nicht alleine!“, ruft Heil den Demonstrierenden zu. Seine Stimme überschlägt sich fast. Es ist eine ungewöhnliche Inszenierung für den sachlichen Niedersachsen.

Doch Heil hat eine Botschaft: Die SPD steht an der Seite der Industriearbeiter. Deutschland müsse ein Land der Industrie bleiben, so seine Parole.

Es klingt nach einer kämpferischen Rückkehr der Sozialdemokraten zu ihren Wurzeln. Doch warum erst jetzt? Warum braucht es Wahlkampfzeiten, um Probleme anzugehen, die längst offenkundig sind?

Arbeitsminister Hubertus Heil bei einer Demonstration von ThyssenKrupp-Beschäftigten in Kreuztal. Während der Stahlriese Stellen abbauen will, setzt die SPD auf verlängerte Kurzarbeit – ein teures Instrument mit fraglichem Nutzen.

Industrie in der Krise: Die Zahlen sprechen für sich

Die deutsche Wirtschaft befindet sich im Umbruch – und das nicht erst seit gestern. Besonders in der Industrie spitzen sich die Probleme zu. Hohe Energiekosten, wegfallende Absatzmärkte und strukturelle Versäumnisse machen den Unternehmen zu schaffen.

Während die Zahl der Erwerbstätigen insgesamt stieg, verzeichnete das verarbeitende Gewerbe seit Mitte 2023 einen Rückgang um fast 100.000 Arbeitsplätze.

„Wir haben das lange schön geredet“, sagt ein hochrangiger Gewerkschafter, der namentlich nicht genannt werden will. „In Berlin sprach man von Stabilität, obwohl die Alarmsignale längst schrillten.“

Tatsächlich erklärten Kanzler Olaf Scholz und Hubertus Heil noch Anfang des Jahres, der Arbeitsmarkt sei „robust“. Dass die Industrie längst schwächelte, wurde kaum thematisiert.

Die Realität sieht düster aus: Seit Monaten steigen die Insolvenzen. Besonders kleine und mittlere Unternehmen aus dem industriellen Mittelstand kämpfen ums Überleben. Sie sind oft das Rückgrat der deutschen Exportwirtschaft – und ihre Probleme gehen weit über kurzfristige Konjunkturschwankungen hinaus.

Kurzarbeit: Eine Brücke ins Nirgendwo?

Die SPD setzt in der Krise auf eine altbewährte Maßnahme: Kurzarbeit. Heil will die Bezugsdauer von einem Jahr auf zwei Jahre verlängern. Rund 268.000 Beschäftigte sind derzeit in Kurzarbeit – Tendenz steigend. Für viele Betroffene eine Erleichterung. Doch Ökonomen kritisieren, dass die Maßnahme die nötige Transformation in Unternehmen hinauszögere.

„Kurzarbeit ist kein Ersatz für Reformen,“ sagt Sebastian Dettmers, Geschäftsführer der Jobplattform Stepstone. „Wir subventionieren damit Unproduktivität, statt Firmen auf Veränderungen vorzubereiten.“

Tatsächlich nutzen nur wenige Unternehmen die Zeit, um Beschäftigte weiterzubilden – obwohl genau das essenziell wäre, um den Arbeitsmarkt zukunftsfähig zu machen.

Die Kosten der verlängerten Kurzarbeit sind enorm. Allein 2023 musste die Bundesagentur für Arbeit fast 726 Millionen Euro an Kurzarbeitergeld auszahlen. Für 2025 rechnen Experten mit noch höheren Ausgaben. Die Frage ist: Wohin führt diese Brücke, wenn die strukturellen Probleme ungelöst bleiben?

Mit über 268.000 Beschäftigten in Kurzarbeit stiegen die Kosten für die Bundesagentur 2023 auf mehr als 726 Millionen Euro – ein teurer Versuch, strukturelle Probleme zu überbrücken.

Ein Ruck durch die SPD – aber warum erst jetzt?

Lange wirkten Scholz und Heil beinahe unbeirrt, als sie von einem „grünen Wirtschaftswunder“ träumten und das Wort „Krise“ mieden. Erst als Volkswagen im Herbst 2023 massive Stellenstreichungen ankündigte, schwenkte die SPD um. Plötzlich ist die Sicherung von Industriearbeitsplätzen wieder Chefsache. „Wir lassen niemanden zurück“, lautet das neue Mantra.

Doch Kritiker sehen darin vor allem eine Reaktion auf den Wahlkampf. „Die SPD inszeniert sich jetzt als Arbeiterpartei,“ sagt ein Politikwissenschaftler der Universität Mannheim. „Aber wo war sie, als die ersten Betriebe in Schwierigkeiten gerieten?“

Tatsächlich schien die Bundesregierung lange nicht zu verstehen, dass viele Probleme hausgemacht sind: Hohe Energiekosten, schleppende Digitalisierung und eine verfehlte Innovationspolitik setzen Deutschland im globalen Wettbewerb unter Druck.

Rhetorik versus Realität

Die Inszenierung der SPD als Schutzmacht der Arbeiter stößt auf Skepsis. „Solidarität ist gut, aber sie braucht Substanz“, sagt ein IG-Metall-Vertreter. Der Erhalt von Arbeitsplätzen ist wichtig, aber die Frage bleibt, wie die SPD die deutsche Wirtschaft zukunftsfähig machen will. Bislang sind die Antworten vage.

Auch in der Wirtschaft mehren sich kritische Stimmen. „Es geht nicht nur um Arbeitsplatzsicherung, sondern um die Wettbewerbsfähigkeit ganzer Branchen,“ sagt Detlef Scheele, der frühere Chef der Bundesagentur für Arbeit.

„Die Politik muss den Mut haben, ehrlich zu sagen, dass sich der Arbeitsmarkt grundlegend verändern wird.“

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