Wenn ein Präsident im Rosengarten des Weißen Hauses eine Tafel mit Strafzöllen in die Kameras hält, ist das keine Nebensache – sondern ein wirtschaftspolitisches Signal mit globaler Wucht.
In Donald Trumps jüngster Zollrunde traf es Vietnam besonders hart: 46 Prozent Strafzoll auf sämtliche Exporte in die USA. Ein Tiefschlag für ein Land, dessen Wohlstand zu einem Drittel vom Handel mit Amerika abhängt. Aber wie kommt dieser absurde Satz eigentlich zustande?
Willkür mit Rechenweg
Die Grundlage für Trumps Maßnahme ist eine sogenannte reziproke Zollformel. Sie soll suggerieren, dass Länder, die mehr in die USA exportieren als umgekehrt, quasi bestraft werden.
Die Berechnung: Handelsbilanzdefizit geteilt durch den Importwert, durch zwei geteilt – das ergibt den Zollsatz. Im Fall Vietnams führt diese Milchmädchenrechnung zu einem künstlich aufgeblasenen Wert von 46 Prozent.
Dabei werden Dienstleistungen, Vorleistungen und Investitionsströme schlicht ignoriert. Wirtschaftlich ist das so, als würde man ein Haushaltsbuch nur anhand der Kassenzettel für Lebensmittel führen – und Miete, Strom und Steuern weglassen.
„Die Methode ist grob vereinfachend und ignoriert alle komplexen Wechselwirkungen globaler Lieferketten“, sagt Julian Hinz vom Kiel Institut für Weltwirtschaft.
Hinzu kommt: Die Formel nimmt an, dass Konsumenten sofort auf höhere Preise reagieren – eine Annahme, die kaum der Realität entspricht. Das Resultat: überzogene Zollraten, die eher Symbolpolitik als volkswirtschaftliche Steuerung sind.
Politische Kulisse – wirtschaftlicher Flurschaden
Dass Vietnam zur Zielscheibe wird, hat geopolitische Sprengkraft. Das südostasiatische Land ist nicht nur einer der größten Textil-, Elektronik- und Schuhlieferanten der USA – darunter etwa Apple-Zulieferer und Nike-Produzenten – sondern auch ein strategischer Gegenpol zu China.
Seit Jahren versuchen US-Industriekonzerne, Teile ihrer Lieferketten aus der Volksrepublik nach Vietnam zu verlagern. Mit dem Zollhammer trifft Trump also auch indirekt die US-Wirtschaft selbst.
Für Vietnam könnte das kurzfristig verheerend sein: Die vietnamesischen Exporte in die USA beliefen sich 2024 auf rund 120 Milliarden Dollar. Ein 46-Prozent-Zoll macht diese Waren auf einen Schlag fast unbezahlbar.
Unternehmen müssen entweder ihre Margen opfern oder neue Abnehmer finden – was vor allem kleine und mittlere Produzenten ins Mark trifft.
Wenn Zölle in Prozentpunkten gerechnet werden
Besonders pikant: Die US-Regierung rechnet laut Handelsökonomen nicht in prozentualen Erhöhungen, sondern in Prozentpunkten. Das ist ein gravierender Unterschied.
Ein bestehender Zollsatz von 10 Prozent würde nicht auf 14,6 Prozent steigen – sondern auf 56 Prozent. Die wirtschaftliche Belastung vervielfacht sich, die Importnachfrage kollabiert. Der Unterschied ist so eklatant, dass Ökonomen ihn nur noch als „bewusste Irreführung“ deuten können.
Nebenwirkungen für die USA – und die EU
Die Folgen sind bereits spürbar. US-Firmen, die auf vietnamesische Vorprodukte setzen – etwa in der Textil-, Möbel- oder Elektronikbranche – sehen sich mit explodierenden Einkaufspreisen konfrontiert.
Dazu kommt Unsicherheit. Welche Länder trifft es als nächstes? Welche Produkte? Unternehmen verschieben Investitionen, verschlanken Produktionen – neue Jobs entstehen so nicht. „Es ist ein Mythos, dass Zölle automatisch Arbeitsplätze schaffen“, sagt Uri Dadush, Handelsexperte und früherer Weltbank-Direktor. „Meistens kosten sie welche.“
Europa hingegen könnte von der Umlenkung profitieren. Schon jetzt signalisieren vietnamesische Exporteure Interesse, den EU-Markt zu stärken. Dank des Freihandelsabkommens EVFTA, das seit 2020 in Kraft ist, könnten europäische Kunden bald zu bevorzugten Partnern werden – sofern sie bereit sind, die Kapazitäten zu übernehmen.
Trumps ökonomischer Irrweg
Was bleibt, ist ein Experiment auf Kosten von Stabilität und Partnerschaft. Die Idee, Handelsbilanzdefizite mit Zöllen zu „reparieren“, ignoriert fundamentale volkswirtschaftliche Zusammenhänge.
Die USA importieren mehr, weil sie konsumieren – nicht, weil sie übervorteilt werden. Wer glaubt, mit Strafzöllen könne man ein strukturelles Defizit in der Leistungsbilanz korrigieren, verwechselt Symptome mit Ursachen.
Für Vietnam beginnt damit eine Phase der wirtschaftlichen Unsicherheit. Für die USA hingegen könnte der Preis politischer Inszenierung ein erneuter Konsumentenschock sein – in Form steigender Preise, stagnierender Industrieproduktion und einer gefährlich eskalierenden Zollspirale.
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