28. April, 2025

Unternehmen

Zerlegen für den Börsenjubel?

Continental verspricht sich viel vom Spin-off der Autozuliefersparte. Doch nicht jeder Umbau schafft automatisch Werte – und oft beginnt das eigentliche Problem erst nach der Trennung.

Zerlegen für den Börsenjubel?
Reifenproduktion in Korbach: Künftig soll das Traditionsunternehmen Continental fast ausschließlich auf das Reifengeschäft setzen – eine Rückbesinnung auf das, was 1871 mit Hufgummis begann.

Abschied von der alten Continental

Was früher als Stärke galt, ist heute Ballast. Continental, einst ein Mischkonzern mit Tradition, will sich neu aufstellen – und zwar radikal. Die Automotive-Sparte geht raus, das Geschäft mit Gummiteilen für Autokunden wird verkauft, weitere Bereiche folgen. Was bleibt, ist das Reifen-Kerngeschäft. Aus dem drittgrößten Autozulieferer der Welt wird ein spezialisierter Reifenbauer.

Die Aktionäre sollen heute auf der Hauptversammlung zustimmen. Der Chef, Nikolai Setzer, macht keinen Hehl daraus: Er glaubt, dass es keine Alternative mehr gibt. Die Branche sei im Wandel, Kunden forderten mehr Tempo und Flexibilität. Also: Weg mit dem Überbau, zurück zum Kern.

Der Spin-off als Wunderwaffe?

Conti ist kein Einzelfall. Die Liste der Konzerne, die sich selbst zerschneiden, wird länger: Siemens, Bayer, E.On, VW, Philips – sie alle haben in den letzten Jahren ihre Struktur gestrafft. Und jedes Mal ist die Begründung ähnlich: mehr Agilität, klarere Zuständigkeiten, bessere Börsenbewertung.

Der sogenannte Konglomeratsabschlag – also der angeblich niedrigere Aktienkurs von Mischkonzernen – dient vielen als Argument. Er klingt logisch: Ein unübersichtlicher Großkonzern schreckt Investoren ab, ein fokussiertes Unternehmen ist leichter zu bewerten.

Doch die Realität ist komplizierter.

Der Mythos vom Bewertungsabschlag

Wirtschaftsprofessor Marc Eulerich von der Uni Duisburg-Essen hat genau das untersucht. Gemeinsam mit seinem Kollegen Benjamin Fligge wertete er Daten von 6.000 Unternehmensjahren aus – mit überraschendem Ergebnis: Der Abschlag ist kein Naturgesetz.

Wird die Selbstselektion berücksichtigt – also etwa, ob Unternehmen freiwillig ein Konglomerat werden oder durch äußeren Druck –, verschwindet der Effekt.

Heißt: Die Annahme, dass eine Abspaltung automatisch für mehr Wert sorgt, ist statistisch nicht haltbar.

Eulerich sagt: „Der Konglomeratsabschlag wird oft wie ein physikalisches Gesetz behandelt. Dabei ist er ein Mythos.“

Spin-offs brauchen mehr als PR

Tatsächlich ist eine Aufspaltung kein Selbstläufer. Christian Bruch, CEO von Siemens Energy, kennt das aus eigener Erfahrung. Als das Unternehmen aus dem Siemens-Konzern herausgelöst wurde, zeigte sich schnell, wie viel Infrastruktur plötzlich fehlte. Rechnungswesen, IT, HR – alles musste neu gedacht und aufgebaut werden.

Ein Hoch auf den Fokus? Studien zeigen: Der viel zitierte „Konglomeratsabschlag“ ist oft überbewertet – wer ohne strategisches Ziel abspaltet, schafft selten langfristig Mehrwert.

Und auch die Belegschaft macht so eine Transformation nicht einfach mit. Bruch spricht offen davon, dass viele Mitarbeitende den Schritt zuerst kritisch sahen. Erst mit der Zeit, durch gezielte Kommunikation, neue Führungskultur und klare Positionierung, sei Akzeptanz gewachsen.

Der Spin-off ist also nicht nur ein betriebswirtschaftliches Projekt, sondern auch ein psychologisches. Wer Menschen mitnehmen will, braucht mehr als Zahlen – er braucht eine gute Geschichte.

Was wirklich zählt: die Qualität der Trennung

Das bestätigt auch eine Analyse von Bain & Company. Die Unternehmensberatung hat über 350 Spin-offs weltweit untersucht. Ergebnis: Nicht die Abspaltung selbst schafft Wert – sondern deren Qualität. Die besten Fälle entstehen aus einer bewussten Strategie, nicht aus Not. Sie haben ein Ziel, einen Plan und eine klare Botschaft für den Markt.

Kurz: Eine gute Story allein reicht nicht. Entscheidend ist, was man daraus macht.

Kontrolle schafft Disziplin

Für Thomas Chemmanur vom Boston College spielt noch ein anderer Aspekt eine Rolle. Sobald Unternehmensteile eigenständig sind, erhöht sich der Druck. Investoren schauen genauer hin, potenzielle Käufer ebenfalls. Das schärft den Blick, macht das Management disziplinierter.

Chemmanur nennt das den „pure disciplining effect“. Wer weiß, dass jemand zuschaut, liefert besser ab. Psychologisch nachvollziehbar – und wirtschaftlich relevant.

Conti-Chef geht mit – freiwillig

Für Nikolai Setzer, der seine Karriere bei Continental vor fast 30 Jahren begann, ist die Zerschlagung auch ein persönlicher Einschnitt. Wenn die Holding verschwindet, verschwindet auch sein Posten. Einen Nachfolger wird es nicht geben. „Man muss auch loslassen können“, sagt er.

Ob er in einigen Jahren als mutiger Modernisierer oder als Totengräber eines einst stolzen Konzerns gesehen wird, entscheidet der Markt.

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