Cem Özdemir will 2026 Ministerpräsident in Baden-Württemberg werden – eine Entscheidung, die in grünen Kreisen schon länger erwartet wurde. Der derzeitige Bundeslandwirtschaftsminister, der in Bad Urach aufwuchs, soll die Grünen in die nächste Landtagswahl führen und tritt damit die Nachfolge von Winfried Kretschmann an, der nach 12 Jahren als Regierungschef aus Altersgründen nicht mehr kandidieren wird.
Am Freitag plant Özdemir, seine Entscheidung öffentlich zu verkünden, um die Spitzenkandidatur seiner Partei offiziell zu machen.
Doch trotz seiner Popularität steht Özdemir vor einer großen Herausforderung: Die Grünen rutschen in Umfragen in Baden-Württemberg seit Monaten ab, und die Erfolgsaussichten für eine weitere Amtszeit der Partei sind ungewiss.
Özdemir, der auf eine langjährige politische Laufbahn zurückblickt, wird innerhalb der Partei als einzige ernstzunehmende Alternative für die Kretschmann-Nachfolge gehandelt.
Seine politische Erfahrung und seine Zugehörigkeit zum „Realo“-Flügel, der pragmatische Lösungen und koalitionsfähige Politik priorisiert, gelten als große Pluspunkte.
Die Parteilinken, die den „linken“ Flügel der Grünen vertreten, scheinen wenig Widerstand gegen seine Kandidatur zu bieten – auch weil Özdemir als stabilisierendes Element in der Partei gilt, das ähnlich wie Kretschmann einen eher nüchternen, bodenständigen Regierungsstil pflegt.
Ein Kandidat mit Erfahrung und Bodenhaftung
Özdemir ist seit über drei Jahrzehnten im politischen Geschäft. Seine Karriere begann im Bundestag, wo er von 1994 bis 2002 und dann erneut seit 2013 als Abgeordneter aktiv war. Zwischenzeitlich zog es ihn nach Brüssel, wo er von 2004 bis 2009 im Europaparlament saß.
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Von 2008 bis 2018 war er zudem Bundesvorsitzender der Grünen. Im Dezember 2021 wurde er schließlich zum Bundeslandwirtschaftsminister ernannt, ein Amt, in dem er sich mit Themen wie nachhaltiger Landwirtschaft und Klimaschutz auseinandersetzt und mit klarer Linie für Tierschutz eintritt.
Seine pragmatische und oft vermittelnde Herangehensweise hat ihm den Ruf eingebracht, ähnlich wie Kretschmann den Realpolitik-Stil der Grünen zu verkörpern.
Sinkende Umfragewerte als Herausforderung
Trotz seiner langjährigen Erfahrung und breiten Bekanntheit stehen Özdemir schwierige Zeiten bevor. Die Grünen, die in Baden-Württemberg bisher eine starke Wählerschaft verzeichneten, sehen sich einem deutlichen Rückgang in den Umfragewerten ausgesetzt.
Besonders nach der Corona-Krise, den Debatten um Heizungs- und Klimaschutzpolitik und einer Wählerschaft, die vermehrt die CDU favorisiert, sind die Vorzeichen für die Landtagswahl durchwachsen. Özdemir wird sich in den kommenden Jahren darauf konzentrieren müssen, das Vertrauen der Wähler zurückzugewinnen und die Grüne Basis in Baden-Württemberg zu mobilisieren.
„Die Frage wird sein, ob es Cem Özdemir gelingt, den Schwung früherer Jahre wiederherzustellen und die grüne Handschrift zu bewahren, die Winfried Kretschmann im Land etabliert hat“, so ein parteinaher Analyst.
Kretschmanns Popularität, die oft über Parteigrenzen hinausreichte, ist ein Erbe, das Özdemir fordern wird. Er muss die Balance zwischen ökologischen Reformen und sozialer Verträglichkeit finden und ein stabiles Team um sich scharen, um die Wählerschaft zu überzeugen.
Die Realo-Linie: Stabilität und Koalitionsfähigkeit
Die grüne „Realo“-Position, für die sowohl Kretschmann als auch Özdemir stehen, könnte sich als Vorteil erweisen. Beide Politiker setzen auf pragmatische Lösungen und betonen eine koalitionsfähige Politik, die oft stärker auf wirtschaftliche Vernunft und soziale Balance setzt als auf ideologische Auseinandersetzungen.
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Dies könnte gerade in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheiten und wachsender Klimadiskussionen ein starkes Argument sein. Özdemir dürfte gezielt darauf setzen, die gute Zusammenarbeit mit der CDU weiter auszubauen, was ihm möglicherweise auch konservative Wählerstimmen einbringen könnte.
Ein Blick auf die Herausforderungen bis zur Wahl
Für Özdemir gilt es nun, sich auf die zentrale Aufgabe zu konzentrieren: den Grünen bis zur Wahl 2026 eine solide, überparteiliche Basis im Land zu sichern. Dafür ist eine kluge Kommunikationsstrategie notwendig, um das Vertrauen der Bürger wieder zu gewinnen.
Seine bisherigen Erfolge als Landwirtschaftsminister – insbesondere im Bereich der Agrarwende und des Tierwohls – könnten ihm helfen, ein bodenständiges, für Baden-Württemberg relevanteres Image zu präsentieren.