Ordnungsruf als politische Strategie
Der Bundestag kennt lautstarke Debatten. Doch was in dieser Legislatur passiert ist, sprengt den Rahmen. Insgesamt 138 Ordnungsrufe wurden seit 2021 ausgesprochen – 92 davon an Abgeordnete der AfD. Eine Quote, die selbst hartgesottene Parlamentsbeobachter überrascht.
Beatrix von Storch kassierte allein 20 Ordnungsrufe – unter anderem, weil sie den damaligen Verfassungsschutzpräsidenten Thomas Haldenwang „strunzdumm“ nannte.
Ihr Parteikollege Stephan Brandner zog gleich. Ihm wurde nicht nur ein Ordnungsruf, sondern ein Ordnungsgeld von 50.000 Euro aufgebrummt – für die Bezeichnung einer Journalistin als „Faschistin“.
„Trophäen für die Galerie“
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas sieht die Entwicklung mit Sorge. Ordnungsrufe würden nicht mehr als Mahnung verstanden, sondern wie ein Abzeichen gehandhabt.
„Manche Abgeordnete stellen das anschließend online, feiern sich – und ihre Anhänger klatschen“, heißt es aus ihrem Umfeld. Was früher als peinlich galt, ist heute strategisches Kapital.
Die Motivation dahinter ist so einfach wie effektiv: Wer die politische Bühne nutzt, um bewusst zu provozieren, landet in den Schlagzeilen. Und wer den „Ordnungsruf“ gleich als Beweis für angebliche Repression verkauft, stärkt sein Lager.
Auch SPD und BSW geraten aus dem Rahmen
Dass nicht nur die AfD zu Ordnungsverstößen neigt, zeigen andere Beispiele. SPD-Abgeordneter Michael Schrodi beschuldigte 2023 einen CDU-Kollegen während einer hitzigen Debatte, mit „Faschisten zu kooperieren“. Folge: 1.000 Euro Ordnungsgeld.

Das Bündnis Sahra Wagenknecht verabschiedete sich gleich mit einem Gruppen-Eklat aus dem Parlament. Acht Abgeordnete entrollten Transparente mit der Aufschrift „1914 wie 2025: Nein zu Kriegskrediten!“. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau sah darin einen klaren Verstoß gegen die Geschäftsordnung und griff ein.
Wird der Bundestag zur Kulisse?
Längst geht es nicht mehr nur um Stilfragen. Es geht ums Prinzip. Wird der Bundestag noch als demokratischer Ort des Argumentierens verstanden – oder verkommt er zur Bühne für kalkulierte Grenzüberschreitungen?
Bärbel Bas hat eine klare Meinung: „Persönliche Angriffe haben deutlich zugenommen. Vor allem während der Pandemie hat sich die Debattenkultur verändert – und das hält bis heute an.“
Strafen reichen nicht mehr – sagen viele
Die bisher möglichen Sanktionen: Ermahnung, Ordnungsruf, Sitzungsausschluss, Ordnungsgeld. Doch deren Wirkung ist begrenzt. Deshalb will die Bundestagspräsidentin härter durchgreifen. Diskutiert wird eine Verdopplung der Ordnungsgelder – und eine verpflichtende Verhängung bei klaren Verstößen.
Auch aus der CDU kommt Unterstützung. „Es geht um die Würde des Parlaments“, heißt es aus Fraktionskreisen. Die Debatte müsse sachlich geführt werden – und Störer dürften nicht länger das Klima bestimmen.
Was ist erlaubt – und was ist demokratisch gefährlich?
Doch so einfach ist es nicht. Jeder zusätzliche Ordnungsruf kann auch zur Eskalation beitragen. Wer sich ohnehin als Außenseiter inszeniert, wird durch jede Sanktion in der eigenen Blase nur bestärkt. Für manche AfD-Politiker gehören Rügen längst zur Medienstrategie.
Der Bundestag steht also vor einem Dilemma: Schärfere Strafen könnten helfen – oder sie könnten Öl ins Feuer gießen. Klar ist: Wenn das Parlament seine eigenen Regeln nicht ernst nimmt, wird es zunehmend irrelevant.
Das könnte Sie auch interessieren:
