23. April, 2025

Unternehmen

Wie Mercedes systematisch den Personalabbau organisiert

Hinter dem Versprechen von Freiwilligkeit verbirgt sich ein Prozess, der strategisch Druck aufbaut: Mercedes will Tausende Jobs streichen – mit subtiler Taktik, interner Schulung und zum Teil bemerkenswert hohen Abfindungen.

Wie Mercedes systematisch den Personalabbau organisiert
Ab dem 28. April erhalten über 40.000 Beschäftigte persönliche Abfindungsangebote. Offiziell freiwillig – doch intern berichten Mitarbeiter von subtiler Auslese und strukturellem Druck.

Der freundliche Rausschmiss

Am 28. April beginnt bei Mercedes die heiße Phase eines Programms, das nach außen fair klingt – und intern zunehmend Unbehagen auslöst. Unter dem Titel „Next Level Performance“ erhalten über 40.000 Tarifbeschäftigte in den indirekten Bereichen persönliche Abfindungsangebote per E-Mail.

Was folgt, ist eine Choreografie des Rückzugs: Informationsveranstaltungen, Einzelgespräche mit höheren Führungskräften, Beratungstermine. Freiwillig, heißt es offiziell.

Doch in der Praxis berichten Betroffene bereits jetzt von subtilem Druck, Andeutungen über fehlende Zukunftsperspektiven und Gesprächsleitfäden, die offenbar genau auf eines hinauslaufen: möglichst viele Austritte.

Abfindung mit System – Gespräche unter Aufsicht

Der Ablauf ist klar strukturiert. Zunächst folgt das Skip-Level-Gespräch – nicht mit dem direkten Vorgesetzten, sondern mit der nächsthöheren Ebene. Angeblich, um emotionale Bindungen zu vermeiden. De facto aber entsteht so eine ungewohnte Gesprächssituation, die viele Mitarbeitende als Einschüchterung empfinden.

In den Gesprächen wird eine Rückmeldefrist vereinbart. Danach folgen weitere Termine – Perspektivberatung, Vertragsgespräche, Turbo-Prämien für Schnellentscheider. Wer zögert, bekommt Nachfassmails. Alles legal, alles freiwillig. Und trotzdem: Der Druck ist spürbar.

„Ihr Job fällt weg“ – was Mitarbeiter zu hören bekommen

Die Realität klingt oft anders als die freundliche Fassade des HR-Sprechs. Arbeitsrechtler berichten von Formulierungen, die nahelegen, der Arbeitsplatz sei de facto bereits abgeschafft. Sätze wie: „So ein Angebot bekommen Sie nie wieder“, oder „Sie passen nicht mehr in unsere künftige Struktur“.

Es sind Andeutungen mit Wirkung – juristisch sauber, psychologisch wirksam. Denn offiziell gibt es keine betriebsbedingten Kündigungen. Doch wer nicht geht, könnte in eine Art betriebliches Abstellgleis geraten.

Kommt das „JobForum“ zurück? Und was bedeutet das?

Wer sich weigert, zu gehen, wird womöglich in einen Pool überführt. Mercedes plant laut interner Aussagen erneut eine zentrale Abteilung für nicht-wechselwillige Mitarbeitende – in Anlehnung an das frühere „JobForum“.

Mercedes setzt auf sogenannte Skip-Level-Gespräche mit höheren Führungsebenen. Ziel laut internen Schulungsunterlagen: „informierte Entscheidungen“ – doch Juristen sehen gezielte Einflussnahme.

Schon 2021 war dieses Instrument umstritten: Projektaufgaben unterhalb der eigenen Qualifikation, keine Perspektiven, kein echter Aufgabenbereich. Eine Maßnahme, die weniger nach Vermittlung als nach zermürbender Inaktivität klang.

Nun droht offenbar eine Neuauflage – unter neuem Namen, aber mit gleichem Zweck: „Freiwilligkeit“ herzustellen, wo eigentlich keine mehr besteht.

Die Summen sind hoch – und trotzdem kein Freifahrtschein

Das Abfindungsprogramm selbst ist finanziell attraktiv. Wer jung ist, lange dabei war und schnell unterschreibt, kann mehrere Hunderttausend Euro erhalten. Bei Führungskräften sind teils über 500.000 Euro realistisch.

Doch Geld allein sichert keine faire Behandlung. Viele berichten von emotional belastenden Gesprächen, Unsicherheit über die eigene Zukunft und einer schleichenden Kulturveränderung im Unternehmen. Ein sauberer Cut sieht anders aus.

Outsourcing, Orientierungszeit, Frühverrentung – das Toolkit des Abbaus

Die Vielfalt der Programme zeigt: Mercedes denkt strategisch. Für ältere Mitarbeitende gibt es Angebote zur Frühverrentung oder Altersteilzeit. Für Jüngere die sogenannte „Orientierungszeit“, bei der man mit Wiedereinstellungsoption aussteigt.

Hinzu kommen Sonderprämien für Arbeitszeitreduzierung – eine elegante Möglichkeit, Kapazitäten zu reduzieren, ohne zu kündigen. Parallel plant der Konzern, Tätigkeiten in Zentralbereichen auszulagern. Ein klarer Hinweis, dass dort viele Stellen wegfallen – auch wenn offiziell nichts bestätigt wird.

Was bleibt, ist ein Gefühl der Unsicherheit

Auch wer nicht betroffen ist, spürt die Schieflage. Die Personalmaßnahmen laufen zentral über HR. Die Prozesse sind digitalisiert, die Gespräche getaktet. Wer sich nicht meldet, wird erinnert. Wer noch zögert, wird nachgefasst.

Der Effekt: Eine Belegschaft im Ausnahmezustand. Vertrauen schwindet. Loyalität bröckelt. Und was einst als „Great Place to Work“ galt, steht plötzlich für Restrukturierung auf hohem Niveau – aber mit wenig menschlicher Wärme.

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