Der schnelle Aufstieg mit tiefen Investitionen
Mercado Libre, das „Amazon Südamerikas“, hat erneut beeindruckende Zahlen vorgelegt: 35 Prozent Umsatzwachstum, sieben Millionen neue Kunden und elf Prozent mehr Gewinn im Vergleich zum Vorjahr.
Doch die Euphorie am Aktienmarkt blieb aus. Nach Veröffentlichung der Quartalszahlen stürzte die Aktie um 16 Prozent ab – ein Zeichen dafür, dass die Strategie des E-Commerce-Riesen auch Risiken birgt.
Die Kritik der Analysten richtet sich vor allem auf die Margen. Obwohl der Umsatz rasant wächst, verfehlte das Ergebnis vor Steuern (EBIT) die Erwartungen um fast 30 Prozent.
Hauptgrund: Mercado Libre steckt gewaltige Summen in den Ausbau seines Kreditkartengeschäfts und anderer Finanzprodukte. Allein im letzten Quartal investierte das Unternehmen 76 Millionen Dollar in die Skalierung von Mercado Pago, der Fintech-Tochter.
Kreditkarten als Schlüssel zum Erfolg
Der Fokus auf Kreditkarten ist strategisch: Innerhalb eines Jahres hat Mercado Libre die Zahl der ausgegebenen Karten fast verdreifacht und allein im letzten Quartal 1,5 Millionen neue Kreditkarten auf den Markt gebracht.
Damit erreicht das Kreditportfolio des Unternehmens einen Wert von rund sechs Milliarden Dollar. Doch hohe Rückstellungen für potenzielle Zahlungsausfälle – über 500 Millionen Dollar im letzten Quartal – belasten das Ergebnis.
Laut Finanzchef Osvaldo Gimenez sind die Investitionen jedoch langfristig essenziell. Kreditkartenkunden neigen dazu, häufiger auf dem Online-Marktplatz einzukaufen und weitere Finanzprodukte zu nutzen. Die Strategie: Eine umfassende Integration von E-Commerce und Finanzdienstleistungen, bei der sich die Bereiche gegenseitig stärken.
Südamerika als Wachstumsparadies
Während der Kreditkartenmarkt in Europa und Nordamerika weitgehend gesättigt ist, bietet Südamerika enorme Potenziale. In Ländern wie Brasilien oder Mexiko besitzen weniger als 20 Prozent der Menschen eine Kreditkarte – ein deutlicher Unterschied zu europäischen Märkten, wo die Durchdringung oft über 50 Prozent liegt. Mercado Libre plant, dieses Potenzial zu nutzen und die Karte in weiteren Märkten wie Kolumbien, Argentinien oder Peru einzuführen.
Zusätzlich hat das Unternehmen Händler im Visier: Durch die Einführung eigener Kartenlesegeräte bietet es kleinen Unternehmen einen Anreiz, Kreditkartenzahlungen zu akzeptieren. Im Gegenzug profitieren diese Händler von Krediten, die speziell für Nutzer der Mercado-Lesegeräte angeboten werden.
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Konkurrenzdruck durch Nubank und Co.
Doch der Wettbewerb schläft nicht. Besonders die brasilianische Nubank, eine der erfolgreichsten Neobanken weltweit, hat sich eine starke Position im Kreditkartenmarkt aufgebaut. Gleichzeitig drängen globale Anbieter wie Aliexpress oder Temu mit eigenen Finanzlösungen auf den Markt.
Auch europäische Fintechs wie Revolut und N26 wagten den Schritt nach Brasilien. Während Revolut sich behaupten konnte, musste N26 sein Angebot nach wenigen Monaten wieder einstellen – ein Hinweis auf die Herausforderungen, die selbst erfahrene Anbieter in der Region erwarten.
Langfristige Vision: Eine Super-App für Südamerika
Mercado Libre verfolgt eine Vision, die weit über E-Commerce hinausgeht. Die Kombination aus Online-Handel, Zahlungsdiensten und Finanzprodukten könnte das Unternehmen zu einem zentralen Bestandteil des Alltags vieler Südamerikaner machen. Vergleichbar mit Aliexpress in Asien, könnte Mercado Libre eine Plattform schaffen, die E-Commerce, Banking und Dienstleistungen nahtlos verbindet.