Es sind Zahlen, wie sie der Rüstungsindustrie in Europa seit Jahrzehnten nicht mehr untergekommen sind: Der deutsch-französische Panzerbauer KNDS hat 2024 Aufträge im Wert von 23,5 Milliarden Euro in den Büchern stehen – ein Plus von 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Der Auftragseingang schnellte auf 11,2 Milliarden Euro hoch, ein Zuwachs von 40 Prozent. Das Europa nach dem 24. Februar 2022, dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine, hat die Waffenproduktion nicht nur reaktiviert, sondern strategisch neu justiert.
Der Konzern, entstanden aus dem Münchner Traditionsunternehmen Krauss-Maffei Wegmann (KMW) und dem französischen Hersteller Nexter, ist in dieser neuen Realität einer der großen Gewinner. Sein Flaggschiff, der Leopard 2, ist zum Symbol einer wehrhaften Zeitenwende geworden.
Rüstungsindustrie als Konjunkturtreiber
Der Umsatz stieg auf 3,8 Milliarden Euro, der Gewinn sei „zufriedenstellend“, heißt es eher kryptisch aus dem Konzern. Analysten werten das als Hinweis auf stabile Margen – trotz der angespannten Lieferketten und steigender Materialkosten.
Für ein Unternehmen, das noch vor wenigen Jahren unter dem Radar vieler Investoren flog, ist das eine bemerkenswerte Entwicklung. Auch die Belegschaft wächst: Rund 4.500 Beschäftigte arbeiten derzeit bei KNDS – Tendenz steigend.
Aufrüstung als Geschäftsmodell
Die Nachfrage kommt nicht nur aus der Ukraine oder dem NATO-Osten. Auch Frankreich, Deutschland, Norwegen, Ungarn und die Niederlande bestellen bei KNDS.
Besonders gefragt: Kampfpanzer, Haubitzen, Artillerie- und Munitionssysteme – also genau jene Systeme, die in konventionellen Landkriegen strategisch entscheidend sind. Im Schatten von Konflikten und sicherheitspolitischer Unsicherheit ist Rüstungspolitik zur Industriepolitik geworden. Und KNDS ist ihr Profiteur.
Ein Teil des Booms ist strukturell, ein anderer taktisch. Deutschland etwa hat mit dem „Sondervermögen Bundeswehr“ 100 Milliarden Euro freigemacht, um jahrzehntelange Unterfinanzierung auszugleichen. Frankreich investiert parallel massiv in Modernisierung und strategische Autonomie. KNDS bedient beide Märkte – und ist so das vielleicht wichtigste Symbol eines deutsch-französischen Industrieprojekts, das funktioniert.
Die Frage der europäischen Souveränität
In Berlin wie in Paris betont man immer wieder: Es geht nicht nur um Panzer. Es geht um Fähigkeiten, die Europa eigenständig halten sollen – unabhängig von amerikanischer Rüstungstechnologie.
Der gemeinsame Konzern KNDS wird deshalb von vielen als Blaupause gesehen: für künftige Fusionen, aber auch als Ausdruck eines europäischen Machtanspruchs in der Verteidigung.
Doch diese strategische Industriepolitik hat ihren Preis – politisch und ökonomisch. Denn während sich Investoren über volle Auftragsbücher freuen, mehren sich die kritischen Stimmen: Wie nachhaltig ist ein Geschäftsmodell, das auf Kriegsängsten basiert? Wie abhängig macht sich Europa von einem wirtschaftlich aufgeblähten Rüstungssektor?

Rheinmetall und KNDS – die Rivalität um Europas Militärzukunft
Parallel dazu tobt ein Industriekrieg im Hintergrund: Mit Rheinmetall steht in Deutschland ein börsennotierter Rüstungsriese bereit, der mehr Sichtbarkeit, mehr Lobbyeinfluss und mehr Kapital mobilisiert als KNDS.
Der jüngste Vorstoß von Rheinmetall-Chef Armin Papperger, eigene Kampfpanzerprojekte in Konkurrenz zum Leopard zu starten, hat das Verhältnis nicht gerade entkrampft.
Das gilt auch für den geplanten europäischen Superpanzer MGCS (Main Ground Combat System), den Deutschland und Frankreich seit Jahren gemeinsam entwickeln wollen. KNDS ist hier gesetzt – doch ob der Panzer überhaupt noch in diesem Jahrzehnt kommt, ist offen.
Zu unklar ist die Zielsetzung, zu groß das Misstrauen zwischen Industrie, Ministerien und Generalstäben. Inzwischen prüft Polen den Kauf koreanischer Modelle, auch andere Länder gehen bilateral voran.
Exportmärkte und ethische Fragen
Besonders heikel: Der Rüstungsexport. KNDS beliefert nicht nur NATO-Partner. Auch Staaten wie Katar oder Saudi-Arabien standen in der Vergangenheit auf der Kundenliste – sehr zum Missfallen von Menschenrechtsorganisationen. Der Konzern gibt sich betont defensiv. Man halte sich an geltendes Recht, heißt es lapidar aus der Münchner Zentrale.
Doch in einer Welt, in der sich sicherheitspolitische Linien schnell verschieben, wird genau das zum Problem. Waffen, einmal geliefert, lassen sich selten kontrollieren. Die Exportdebatte wird so zur moralischen Sollbruchstelle eines milliardenschweren Wachstumsmodells.
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