Vor zwei Jahren prangte der Union Jack auf einer Pizza auf dem Cover des „Economist“ – ein Spottbild auf die britische Wirtschaft und die damalige Regierung von Liz Truss. „Britalien“ stand darunter, ein Land im Krisenmodus, geplagt von niedrigen Wachstumszahlen und politischen Skandalen.
Heute scheint sich das Blatt gewendet zu haben: Während die britische Wirtschaft sich erholt, steht Deutschland als Schlusslicht im internationalen Vergleich da. Doch was hat Großbritannien anders gemacht?
Vom „kranken Kind“ zur wachsenden Wirtschaft
Großbritannien hat einen bemerkenswerten Weg hinter sich. Nachdem es Ende 2023 noch in einer Rezession steckte, sieht das erste Halbjahr 2024 eine deutliche Erholung: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte um ein Prozent zu, und die Prognosen für das Gesamtjahr erwarten sogar ein Plus von 1,1 Prozent – ein Ergebnis, das laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) nur von den USA und Kanada übertroffen wird.
Nach einer Serie von Schocks, von der Pandemie bis zum Brexit, scheint Großbritannien wieder auf einem stabilen Wachstumspfad.
Analysten wie Maxime Darmet vom Kreditversicherer Allianz Trade sprechen von einer „soliden Wachstumsdynamik“. Dass die britische Wirtschaft heute besser dasteht, führen Experten vor allem auf den stabileren Kurs in der Wirtschafts- und Fiskalpolitik zurück.
Für Investoren sei das Vertrauen in die Planbarkeit des britischen Marktes zurückgekehrt – ein Faktor, der in Zeiten globaler Unsicherheit entscheidend ist.
Warum Deutschland das Nachsehen hat
Während Großbritannien sich langsam stabilisiert, kämpft Deutschland weiter mit strukturellen Problemen.
„Deutschland steht vor zahlreichen Herausforderungen, die schon vor der Pandemie sichtbar waren,“ sagt die Ökonomin Evelyn Herrmann von der Bank of America.
Die Nachfrage nach deutschen Exportgütern, einst die treibende Kraft der Wirtschaft, hat spürbar nachgelassen, nicht zuletzt durch die Schwäche des chinesischen Marktes. Das traditionelle Exportmodell stößt an Grenzen.
Ein weiteres Problem liegt in der Investitionsschwäche, unter der beide Länder seit Jahrzehnten leiden. Doch während Großbritannien nun Schritte unternimmt, um Investitionen zu fördern, bleibt Deutschland bisher zurückhaltend.
Großbritannien hat mit dem Office for Investment ein umfassendes Maßnahmenpaket geschnürt, das Bürokratie abbauen und Genehmigungsverfahren beschleunigen soll – ein Modell, das Deutschland bisher fehlt.
Rachel Reeves’ Schuldenpolitik: Eine Gratwanderung
Ein bedeutender Unterschied in den Strategien ist die flexible Schuldenpolitik der britischen Schatzkanzlerin Rachel Reeves. Sie hat die Schuldendefinition angepasst, um mehr Spielraum für Investitionen zu schaffen.
Fortan sollen Vermögenswerte in die Staatsbilanz einfließen, wodurch jährlich bis zu 50 Milliarden Pfund für Investitionen zur Verfügung stehen könnten, ohne dass die fiskalischen Regeln verletzt werden.
Lesen Sie auch:
Diese zusätzlichen Kredite sollen ausschließlich in die Erneuerung der Infrastruktur und den ökologischen Umbau fließen – ein Schritt, den Deutschland so bislang nicht unternommen hat.
Reeves hat klargemacht, dass Großbritannien durch diesen Spielraum veraltete öffentliche Einrichtungen und die überlastete Infrastruktur endlich modernisieren kann.
Doch der Plan ist auch riskant: Die britische Verschuldung könnte weiter steigen, was das ohnehin fragile Wirtschaftswachstum gefährden könnte. Für den Chefvolkswirt des IWF, Pierre-Olivier Gourinchas, liegt hier die Herausforderung: zwischen Wachstum und Verschuldung einen Balanceakt zu schaffen.
Deutschland als Schlusslicht – und was es lernen kann
In Berlin dürften die britischen Erfolge nicht unbemerkt bleiben. Ein starkes Signal aus London ist die Ernennung von Poppy Gustafsson, Mitgründerin des Cybersecurity-Unternehmens Darktrace, zur Ministerin für Investitionen.
Mit dieser Position soll sie ausländische und inländische Investitionen ankurbeln und Hindernisse beseitigen. Gustafsson leitet nun das Office for Investment und soll durch schlankere Aufsichtsvorgaben die wirtschaftliche Transformation beschleunigen.
Ein mutiger Schritt, den die britische Regierung als eine ihrer „nationalen Missionen“ bezeichnet.
Für Deutschland heißt das, dass dringend eine Strategie für Investitionsförderung und Infrastrukturentwicklung nötig ist, um im internationalen Vergleich nicht noch weiter abzurutschen.
Evelyn Herrmann weist darauf hin, dass auch Deutschland auf Investitionen in die Infrastruktur angewiesen ist, um langfristig wieder wettbewerbsfähig zu sein. Für 2025 ist laut Bank of America zwar eine Erholung zu erwarten, doch ohne umfassende Reformen könnte Deutschland weiter von Großbritannien überholt werden.