Die Brandmauer gegen rechtsradikale und rechtspopulistische Parteien in Europa wankt – und wird nun gezielt durchlässiger. Was lange als unantastbares Bollwerk galt, zeigt zunehmend Risse.
Die EU reagiert auf den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien wie der Rassemblement National (RN) in Frankreich, der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) und der niederländischen PVV von Geert Wilders mit einer flexibleren Strategie.
Ziel: Zusammenarbeit dort, wo es notwendig erscheint, ohne den demokratischen Grundkonsens zu opfern.
Erfolgswelle der Rechtsparteien: Ein Trend, der sich fortsetzt
Die Wahlergebnisse des Jahres 2024 zeichnen ein klares Bild: Die RN sicherte sich 32 Prozent der Stimmen in Frankreich, während die PVV in den Niederlanden erstmals Teil der Regierung wurde.
Auch die FPÖ feierte mit 30 Prozent einen historischen Wahlsieg in Österreich, wenn auch die Regierungsbeteiligung an Personalfragen scheiterte. In Rumänien gewannen nationalistische Parteien zusammen rund 30 Prozent der Stimmen, was ihre wachsende Präsenz im politischen Diskurs unterstreicht.
Nur in Irland und Litauen blieben Rechtsparteien schwach. Deutschland hingegen ist das letzte größere EU-Land, in dem die sogenannte Brandmauer gegenüber der AfD noch strikt aufrechterhalten wird.
Neue Strategie: Der Weber-Test als Maßstab
Manfred Weber, Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP), hat in Brüssel die Weichen für eine Zusammenarbeit mit moderaten Rechtsparteien wie den Fratelli d’Italia (FdI) von Giorgia Meloni gestellt.
Lesen Sie auch:
Sein „Weber-Test“ definiert klare Kriterien: Parteien, die pro Europa, pro Ukraine und pro Rechtsstaat sind, dürfen Teil der politischen Diskussion werden.
Meloni hat diesen Test bestanden – ebenso wie Tschechiens Premierminister Petr Fiala. Beide gelten als gemäßigte Vertreter einer neuen Generation konservativer Führungsfiguren.
Ihre Einbindung zeigt Wirkung: Im Europäischen Parlament hat die EVP-Fraktion bereits in Ausschüssen und punktuell bei Abstimmungen mit der EKR, der Fraktion Europäischer Konservativer und Reformer, kooperiert.
Von der Isolation zur Integration
Die rationale Begründung für die durchlässigere Brandmauer liegt auf der Hand: Eine starre Ausgrenzung stärkt das Narrativ der Rechtsparteien, Opfer eines elitären Systems zu sein. Zudem hat die EU erkannt, dass eine pauschale Ausgrenzung kontraproduktiv ist. Stattdessen sollen moderate Kräfte eingebunden werden, um radikale Positionen zu isolieren.
Allerdings birgt diese Strategie auch Gefahren. Kritiker warnen vor einer schleichenden Normalisierung rechtsextremer Inhalte. Beispielsweise haben sich jüngst EVP-Abgeordnete bei einer Abstimmung über das Entwaldungsgesetz mit rechtspopulistischen Parteien wie der AfD und FPÖ auf eine Linie gebracht, was für Aufregung bei Sozialdemokraten und Grünen sorgte.
Deutschland: Der letzte Widerstand?
In Deutschland bleibt die AfD weiterhin von Regierungsverantwortung ausgeschlossen. Doch die wachsende Akzeptanz rechtsnationaler Parteien in anderen EU-Ländern könnte den Druck erhöhen, diese Brandmauer zu überdenken.
Wahlforscher Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin stellt die entscheidende Frage: „Wen will ich eigentlich hinter die Mauer packen?“ Diese Frage zielt nicht nur auf die Abgrenzung von extremistischen Kräften, sondern auch auf den Umgang mit gemäßigten Rechten ab.
Lesen Sie auch:
Europäische Zusammenarbeit in der Praxis
In der Praxis hat sich die Lockerung der Brandmauer bewährt. So kooperierten beispielsweise die niederländische Regierung unter Wilders’ PVV und die österreichische schwarz-grüne Koalition eng in der Migrationspolitik. Italiens Ministerpräsidentin Meloni wird im Europäischen Rat als verlässliche Partnerin geschätzt und arbeitet eng mit Kanzler Olaf Scholz zusammen.
Auch die EU-Kommission, die unter anderem den FdI-Politiker Roberto Fitto als Vizepräsidenten einsetzt, zeigt, dass pragmatische Zusammenarbeit mit moderaten Rechtsparteien möglich ist, ohne die europäischen Grundwerte zu gefährden.