Der G-Wagen wird zum Wolf
Ein Auftrag mit Signalwirkung: Mercedes-Benz hat sich einen der größten Einzelverträge seiner Geschichte gesichert – nicht mit einem Golfstaat oder US-Bundesstaat, sondern mit der Bundeswehr.
Bis zu 5800 G-Klassen will der Staat in den kommenden Jahren kaufen. Preis pro Stück: ab 124.355 Euro. Der Rahmenvertrag umfasst rund 1,3 Milliarden Euro.
Intern heißt das Modell bei der Truppe „Wolf“. Tatsächlich war der G-Wagen von Anfang an auch für den militärischen Einsatz gedacht. Jetzt wird er Teil einer neuen Strategie: Aufrüstung – und Öffnung der Industrie für Verteidigungsaufträge.
Die neue Nähe zum Staat
Seit der Verfassungsänderung 2022, die das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr ermöglichte, ist klar: Wer liefern kann, bekommt Aufträge. Und wer bisher nicht liefern wollte, überlegt es sich jetzt vielleicht neu.
Hersteller wie Trumpf, Freudenberg oder Schaeffler sprechen offen über Rüstungsambitionen. Volkswagen-Chef Oliver Blume sagt, man könne „beratend zur Verfügung stehen“. VW-Tochter MAN ist da längst weiter – als Teil eines Joint Ventures mit Rheinmetall.
Milliarden für Lkw – MAN profitiert
Die Zahlen sind beachtlich: 6500 Lkw hat die Bundeswehr bei Rheinmetall MAN Military Vehicles bestellt. 312 Millionen Euro kosten allein die ersten 610 Fahrzeuge. Ein weiterer Vertrag über geländegängige Wechselladersysteme beläuft sich auf 920 Millionen Euro. Beide Aufträge werden über das Sondervermögen finanziert.

MAN, einst tief in der Krise, positioniert sich damit als Rückgrat der militärischen Logistik. Öffentlich bleibt der Konzern aber wortkarg. Man leiste einen „Beitrag zur Verteidigungsfähigkeit“, heißt es. Die operative Führung liegt ohnehin bei Rheinmetall – MAN hält 49 Prozent am Gemeinschaftsunternehmen.
Daimler Truck: Leise, aber ambitioniert
Auch Daimler Truck hält sich mit Eigenlob zurück. Dabei geht der Konzern inzwischen offen auf Wachstumskurs im Defence-Geschäft. Für das kanadische Militär wurden kürzlich Fahrzeuge geliefert, Vertriebsnetz und Produktion werden ausgebaut. Trotzdem betont der Sprecher: Nur etwa ein Prozent des Umsatzes stammt aus Rüstungsaufträgen.
Das scheint Absicht zu sein – niemand will laut sagen, dass man jetzt vom Krieg profitiert. Und doch ist der Trend unübersehbar: Die Autoindustrie, lange auf zivile Märkte fokussiert, entdeckt einen alten Kunden neu – den Staat.
Reputationsrisiken bleiben real
Mit jedem Auftrag wächst aber auch das Risiko eines Imageproblems. Volkswagen betont, man verkaufe keine bewaffneten Fahrzeuge. Trotzdem kursieren online Bilder des Pick-ups Amarok mit Maschinengewehr auf der Ladefläche – ein Bild, das Erinnerungen an bewaffnete Hilux-Modelle der Taliban weckt.
Gerade in einer Branche, die sich betont grün gibt, ist das heikel. Mercedes, VW und Co. werben mit Elektromobilität, Nachhaltigkeit und CO₂-Neutralität. Sie geben „grüne Anleihen“ aus, die auf dem Kapitalmarkt gefragt sind. Militärfahrzeuge passen da schlecht ins Narrativ.
Tabubruch mit politischer Rückendeckung
Doch der Wind dreht sich. Die EU-Kapitalmarktaufsicht hat 2024 die Regeln gelockert: Nachhaltigkeitsfonds dürfen nun auch Rüstungsaktien enthalten – solange keine geächteten Waffen (z. B. Streubomben) im Spiel sind. Der deutsche Fondsverband BVI hat sich angeschlossen, viele Anbieter ziehen jedoch eigene Grenzen.
Ingo Speich, Nachhaltigkeitschef von Deka Investments, sieht in Rüstungsaufträgen „eine Chance, aber keinen großen Hebel“. Für stark unterausgelastete Werke – etwa bei ZF Friedrichshafen – könnten sie helfen, Fixkosten zu decken. Doch sie werden kaum ein tragfähiges neues Geschäftsmodell.
Realitätsscheck: Kein Boom, aber ein Markt
Tatsächlich sind die Umsätze aus dem militärischen Geschäft für die meisten Autobauer marginal. Bei ZF etwa machen Dual-Use-Güter für Militärzwecke gerade einmal 0,3 Prozent des Umsatzes aus. Und das, obwohl das Unternehmen ein wichtiges Bauteil für den Leopard-2-Panzer liefert.

Eine großflächige Neuausrichtung ist nicht geplant. Man passt sich an, erweitert Kapazitäten – bleibt aber im zivilen Kerngeschäft. Auch BMW distanziert sich offiziell vom Rüstungsgeschäft. Und trotzdem fahren viele Fahrzeuge der Marke als Dienstwagen bei der Bundeswehr – von der Limousine bis zum Motorrad.
Rüstung als strategische Rückversicherung
Die Realität ist komplexer als es viele Vorstandsetagen nach außen darstellen. Rüstungsaufträge sind lukrativ, oft langfristig und politisch gewollt. Doch sie bringen auch politischen Druck und gesellschaftliche Diskussionen mit sich – gerade in einer Branche, die sich moralisch neu erfunden hat.
Für viele Unternehmen ist der Einstieg ins Verteidigungsgeschäft weniger ein Strategiewechsel als eine Rückversicherung: Wenn die Transformation zur E-Mobilität stockt, wenn Absatzmärkte wegbrechen, wenn Investoren zögern – dann ist der Staat plötzlich wieder ein verlässlicher Kunde.
Und die Börse? Beobachtet genau.
Während Mercedes und MAN betonen, das Rüstungsgeschäft sei klein, schauen Anleger genauer hin. An der Börse liefern sich Rheinmetall und Volkswagen beim Marktwert inzwischen ein enges Rennen – trotz völlig unterschiedlicher Geschäftsmodelle. Das zeigt: Der Verteidigungsmarkt hat sich in den Köpfen der Investoren etabliert.
Ob das für die Autoindustrie reicht, um eine echte Wachstumsstory daraus zu machen, ist fraglich. Aber klar ist: Die Tür zur Rüstungsindustrie steht wieder offen – und viele Autohersteller sind bereits einen Schritt hindurch gegangen.
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