Im fortlaufenden Münchner Wirecard-Prozess bleibt der viel diskutierte Auftritt des Whistleblowers, dessen Enthüllungen entscheidend zum Niedergang des früheren Dax-Unternehmens beitrugen, aus. Kurzfristig zog der aus Singapur stammende Rechtsanwalt seine für Mittwoch angesetzte Zeugenaussage zurück, wie das Landgericht München I bekannt gab. Zwar wurde der Name des Anwalts nicht explizit genannt, doch es handelt sich um Pav Gill, der ehemals in der Rechtsabteilung von Wirecard in Singapur tätig war. Gill deckte damals mutmaßliche Scheintransaktionen auf und übermittelte seine Bedenken an die Unternehmensleitung im Münchner Vorort Aschheim. Seiner Einschätzung nach blieb die Konzernführung untätig, weshalb er sich an Journalisten, Ermittlungsbehörden und Wirtschaftsprüfer wandte. Dies führte im Februar 2019 zur Veröffentlichung eines ersten Artikels in der britischen «Financial Times», der auf Gills Auskünften basierte und eine Kette weiterer Enthüllungen nach sich zog. Durch Gills unerwartetes Fernbleiben wird der lang inhaftierte ehemalige Wirecard-Chef Markus Braun weiterhin ohne persönlichen Kontakt zu jenem Mann bleiben, der maßgeblich zur Aufdeckung der mutmaßlichen Bilanzverfehlungen beigetragen hat. Die «Financial Times» hatte zuvor bereits über Unregelmäßigkeiten bei Wirecard berichtet, doch mit Gill verfügten sie erstmals über einen Insider, der detaillierte Informationen über die verdächtigen Geschäftspraktiken lieferte.