Das deutsch-französische Tandem bröckelt
Deutschland und Frankreich, einst das Rückgrat der Europäischen Union, stecken in einer tiefen Krise. Ökonomen und Sicherheitsexperten blicken mit Sorge auf die Schwächen der beiden wirtschaftlichen Schwergewichte, die sich zunehmend in politischer Uneinigkeit und wirtschaftlichen Problemen zeigen.
Der russische Angriff auf die Ukraine hatte die EU zunächst stärker zusammenrücken lassen und den Ruf nach europäischer Verteidigungsfähigkeit geweckt.
Doch zweieinhalb Jahre nach Kriegsbeginn haben Überdruss und Uneinigkeit Einzug gehalten – eine Situation, die den deutsch-französischen Motor auf eine harte Probe stellt.
Frankreich, konfrontiert mit einer innenpolitischen Krise und einer drohenden Schuldenfalle, verliert an Handlungsspielraum und Glaubwürdigkeit in Brüssel. Deutschland, das sich in der Rezession befindet, kämpft mit strukturellen Problemen, die seine wirtschaftliche Dynamik lähmen.
Die Folge: Beide Länder geraten zusehends ins Abseits, während süd-, nord- und osteuropäische Staaten resilienter auf geopolitische und wirtschaftliche Schocks reagieren.
Frankreichs Haushaltslage: Ein Pulverfass
Frankreichs wirtschaftliche Probleme sind offenkundig. Nach einem Schuldenexzess, den die Europäische Union nicht länger dulden will, eröffnete Brüssel ein Strafverfahren gegen Paris wegen der zu hohen Neuverschuldung. Das Defizitverfahren, ein schwerer Schlag für die Glaubwürdigkeit des Landes, erschwert Frankreichs Einfluss auf europäischer Bühne zusätzlich.
Wir berichteten bereits:
Der französische Präsident Emmanuel Macron, politisch geschwächt, will sich zwar verstärkt der Außenpolitik widmen, doch die finanzielle und innenpolitische Lage zieht Frankreichs Einfluss auf Europa nach unten.
Frankreichs neuer Premierminister Michel Barnier und Wirtschaftsminister Antoine Armand versuchen, die gigantische Staatsverschuldung durch Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen zu bremsen – ein Plan, der drastische Einsparungen vorsieht.
Das erste Opfer dieser Austeritätspolitik ist die Ukraine: Statt der versprochenen drei Milliarden Euro Militärhilfe werden es 2024 wohl nur zwei Milliarden sein. Zugleich plant Paris, den Verteidigungshaushalt bis 2030 massiv zu steigern, um zumindest langfristig die nationale Sicherheit zu gewährleisten.
Deutschland: Demografie und Exportkrise setzen zu
In Deutschland zeigt sich die wirtschaftliche Schwäche durch sinkende Exporte, eine stagnierende Autoindustrie und einen Fachkräftemangel, der die Wettbewerbsfähigkeit des Landes nachhaltig beeinträchtigt. Die Energiekrise und eine erhöhte Steuerlast belasten die Industrie zusätzlich und schwächen das Geschäftsmodell der deutschen Exportwirtschaft.
„Deutschland steckt nicht nur in einer konjunkturellen, sondern in einer strukturellen Krise,“ urteilt der französische Wirtschaftsexperte Nicolas Bavarez, „ausgelöst durch den demografischen Rückgang, hohe Energiepreise und die Bürokratie.“
Das einstige Exportwunder steht zunehmend unter Druck, da heimische Industrien abwandern und Deutschland zusehends Produktionskapazitäten ins Ausland verlagert.
Analysten sehen in der deutschen Krise nicht nur ein temporäres Problem. Die Schwierigkeiten in der Autoindustrie, Symbol für die deutsche Wirtschaft, stehen beispielhaft für die Herausforderungen des gesamten deutschen Modells.
Die französischen Analysten sind der Ansicht, dass sich Deutschland strukturell verändern muss, um den Anschluss an moderne Industrien und die digitale Wirtschaft nicht zu verlieren.
Amerikas Rückzug als Belastung für Europa
Hinzu kommt die wachsende geopolitische Unsicherheit. Sicherheitsexperten wie François Heisbourg sehen Europa zunehmend ohne die gewohnte Unterstützung der USA, die sich unter Demokraten wie auch unter Republikanern zunehmend auf den indopazifischen Raum konzentrieren.
In seinem Buch „Un monde sans Amerique“ beschreibt Heisbourg die strategische Neuorientierung der USA, die bereits unter Präsident Obama begann und unter Trump und Biden weitergeführt wurde. Mit einem möglichen Wahlsieg von Donald Trump könnte die Distanz der USA zu Europa noch deutlicher werden.
„Wir Europäer werden die Folgen bald spüren,“ mahnt Heisbourg, der darin ein Risiko für die Ukraine, aber auch für die gesamte Sicherheitsarchitektur Europas sieht.
Eine mögliche Wahl von Kamala Harris würde zwar vorerst Erleichterung bringen, doch Heisbourg sieht auch hier keine Rückkehr zur alten Normalität. Für Europa bedeutet das, eine eigenständige und belastbare Sicherheitsstruktur aufzubauen, während die transatlantische Partnerschaft wackelt.
Das Europa der Zukunft: Norden, Osten und Süden im Aufwind?
Während Deutschland und Frankreich in ihren Krisen verharren, sieht Bavarez die Zukunft Europas in den stärker werdenden Regionen Nord-, Süd- und Osteuropas. Länder wie Polen und die baltischen Staaten reagieren mit größerer Resilienz auf geopolitische und wirtschaftliche Herausforderungen.
Diese Staaten investieren stärker in ihre Verteidigungsfähigkeiten und bauen ihre Energiestrukturen aus, um von russischen Lieferungen unabhängig zu bleiben. Süd- und Nordeuropa sind bereit, die Lücken zu füllen, die das deutsch-französische Führungsduo offenlässt.