27. Januar, 2025

Wirtschaft

Wenn Deutsche nicht mehr streiten: Der Rückgang der Zivilverfahren

Wenn Deutsche nicht mehr streiten: Der Rückgang der Zivilverfahren

Die Lust der Deutschen auf gerichtliche Auseinandersetzungen hat in den letzten Jahren merklich nachgelassen. Zahlen des Statistischen Bundesamtes illustrieren einen deutlichen Rückgang der Zivilverfahren zwischen 2007 und 2023. Besonders auffällig ist der Abwärtstrend bei den Amtsgerichten, die einen Rückgang von fast 39 Prozent auf nun 773.400 eingegangene Verfahren verzeichnen mussten. Bei den Landgerichten, die teurere Streitfälle ab 5.000 Euro bearbeiten, liegt der Rückgang bei knapp 19 Prozent. Ein Vorstoß der Ampel-Koalition, die Streitwertgrenze auf 8.000 Euro zu erhöhen, hängt aktuell noch in der Schwebe.

Eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums bestätigt, dass dieser Trend alle Bundesländer und viele Rechtsgebiete betrifft. Ein markanter Einbruch der Verfahren war während der Corona-Pandemie zu beobachten, wie das Beispiel Bayern zeigt. Dort sank die Anzahl der Eingänge an Amtsgerichten von nahezu 126.000 im Jahr 2019 auf einen Tiefpunkt von unter 102.000 im Jahr 2022.

Die oft als streitlustig beschriebenen Deutschen scheinen in puncto Zivilverfahren friedfertiger geworden zu sein. Ein Sprecher des Justizministeriums Nordrhein-Westfalen sieht keinen eindeutigen Grund für diesen Rückgang, obwohl mögliche Erklärungen wie hohe Prozesskosten und der Stress, den Verfahren verursachen können, diskutiert werden. Auch die geringere Bereitschaft von Rechtsschutzversicherungen zur Zahlung könnte eine Rolle spielen. Der Komplex um Massenverfahren, darunter jene um den VW-Abgasskandal und die Wirecard-Affäre, stellt hingegen eine dauerhafte Belastung für die Justiz dar.

Für die Anwaltskanzleien bedeutet der Rückgang an Einzelverfahren eine Herausforderung – die Konkurrenz wächst, weil die Zahl der zugelassenen Anwälte nicht sinkt. Dennoch profitieren Prozessfinanzierer von dieser Entwicklung. Unternehmen wie Litfin, einer der größten Prozessfinanzierer Europas, verwandeln den Zivilprozess inzwischen in ein lukratives Investmentgeschäft. Litfin unterstützt etwa 5.500 Kläger im Wirecard-Skandal und kassiert im Erfolgsfall eine Provision von rund 20 Prozent.

Prozessfinanzierer bieten mit ihrer Vorfinanzierung einen Anreiz für Kläger, indem sie das finanzielle Risiko übernehmen. Kritiker stehen diesen Finanzierungsmodellen skeptisch gegenüber. Andererseits eröffnen Prozesse gegen finanzstarke Gegner wie Apple oder Google neue Erfolgsperspektiven. So hat Litfin als Investmentmöglichkeit für Anleger, die Chancen und moralische Angemessenheit in der Prozessfinanzierung sehen, bereits Fonds geschaffen.