17. April, 2025

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Wenn das Leben dazwischenfunkt – Wie viel Privates gehört ins Büro?

Todesfall, Trennung, Pflegefall: Was tun, wenn das Privatleben die Arbeit lahmlegt? Warum der Gang zur Führungskraft oft mehr bringt als Schweigen – und was Beschäftigte wissen sollten, bevor sie das Gespräch suchen.

Wenn das Leben dazwischenfunkt – Wie viel Privates gehört ins Büro?
Psychische Erschöpfung hat messbare Folgen: Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme und Gereiztheit sind laut Psychologen häufig erste Warnsignale – doch viele Beschäftigte ignorieren sie aus Angst vor beruflichen Nachteilen.

Wenn der private Sturm das Büro erreicht

Das Problem ist nicht neu – aber selten so offen diskutiert: Was tun, wenn der private Ausnahmezustand die berufliche Leistung beeinträchtigt?

Eine Scheidung, eine Krebsdiagnose in der Familie, ein Elternteil, der plötzlich Pflege braucht – solche Ereignisse lassen sich nicht an der Bürotür abgeben. Trotzdem versuchen es viele. Aus Scham, aus Angst, aus falsch verstandener Professionalität.

Doch das Schweigen hat seinen Preis. Schlafmangel, Gereiztheit, Konzentrationsprobleme – irgendwann leidet nicht nur der Mensch, sondern auch die Arbeit. Und genau dann stellt sich eine unbequeme, aber notwendige Frage: Soll ich das meinem Chef sagen?

42 Prozent gestresst – und die Dunkelziffer ist höher

Laut einer Gallup-Umfrage aus dem Vorjahr fühlen sich 42 Prozent der Deutschen dauerhaft gestresst – mehr als im europäischen Schnitt. Der Stress entsteht oft nicht im Büro, sondern zuhause. Doch seine Folgen landen im Meetingraum: verpasste Deadlines, innere Anspannung, sinkende Leistung.

Psychologin Ulrike Ehlert nennt klassische Warnzeichen: Schlafstörungen, ständiges Grübeln, körperliche Symptome wie Magenbeschwerden oder Verspannungen. Die große Gefahr: Viele bemerken die Belastung erst, wenn es längst zu spät ist.

Zwischen Mut und Tabu: das Gespräch mit der Führungskraft

Sich dem Chef anzuvertrauen, ist für viele eine Grenzerfahrung. Wer über Sorgen spricht, zeigt sich verletzlich – und bricht mit einem tief verwurzelten Ideal: dem Bild des belastbaren, unerschütterlichen Mitarbeiters.

Wirtschaftspsychologin Annika von Voss ermutigt dennoch zum Gespräch – gerade dann, wenn private Krisen die Arbeitsleistung beeinträchtigen. „Führungskräfte merken meist sowieso, wenn etwas nicht stimmt“, sagt sie. Wer sich erklärt, senkt den Druck – und schafft Raum für Unterstützung.

Recht auf Teilzeit, Anspruch auf Sonderurlaub – viele Beschäftigte kennen ihre Rechte im Krisenfall nicht. Dabei sind flexible Arbeitsmodelle gesetzlich verankert und können Belastung deutlich reduzieren.

Vorbereitung hilft: Wer sich fragt, was genau er oder sie braucht – flexible Arbeitszeiten, eine reduzierte Stundenzahl, temporäre Entlastung – erhöht die Chance auf konkrete Lösungen.

Gesetzliche Spielräume – und ihre Grenzen

Was viele nicht wissen: Beschäftigte haben in Deutschland ein Recht auf Teilzeit – der Arbeitgeber darf das nur in Ausnahmefällen verweigern. Auch bei plötzlichen Krisen wie dem Tod eines Partners besteht Anspruch auf Sonderurlaub, meist zwei Tage. Darüber hinaus kann ein Arzt eine Krankschreibung ausstellen, wenn die Belastung zu stark ist.

Doch Vorsicht: Wer mit der Führungskraft nur vage bleibt, darf nicht auf maßgeschneiderte Entlastung hoffen. Ohne Kontext ist keine strukturelle Hilfe möglich – das gilt besonders bei operativen Berufen mit festen Schichtplänen oder Maschinenarbeit.


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Was, wenn das Verständnis fehlt?

Nicht jede Führungskraft reagiert empathisch. Manche wischen das Thema beiseite, andere zweifeln an der Ernsthaftigkeit. In solchen Fällen gilt: Die Sprache der Leistung wirkt oft stärker als die der Emotion. Wer erklärt, dass die Produktivität leidet, trifft eher auf Gehör – nicht aus Mitgefühl, sondern aus betrieblicher Notwendigkeit.

Weitere Anlaufstellen: die Personalabteilung, der Betriebsrat, oder – wenn Vertrauen fehlt – Kolleginnen und Kollegen. Oft reicht schon ein einfaches „Ich habe privat gerade viel um die Ohren“ als erste Erklärung. Je konkreter die gewünschte Entlastung, desto offener muss man aber meist werden.

Wenn Offenheit zur Probe wird

Trotz aller Empfehlungen bleibt das Risiko: Wer sich öffnet, macht sich angreifbar – etwa in toxischen Unternehmenskulturen, wo Schwäche als Makel gilt. Die Entscheidung zum Gespräch ist daher auch ein Gradmesser: Wie gesund ist mein Arbeitsumfeld eigentlich? Wie menschlich ist meine Führungskraft?

Psychologin Ehlert bringt es auf den Punkt: „Wenn überhaupt kein Verständnis kommt, sollte man sich fragen, ob das langfristig der richtige Arbeitsplatz ist.“