Industrieboom trotz widriger Bedingungen
Während die industrielle Produktion in Deutschland seit 2011 um fünf Prozent geschrumpft ist, legte sie in der Schweiz im gleichen Zeitraum um 40 Prozent zu.
Und das, obwohl der Schweizer Franken zum Euro um 25 Prozent an Wert gewonnen hat und die Lohnkosten dort traditionell höher sind als in Deutschland. Wie gelingt es der Schweiz, trotz dieser Herausforderungen konkurrenzfähig zu bleiben?
Ein wesentlicher Faktor ist die konsequente Spezialisierung der Industrie. Schweizer Unternehmen setzen auf hochwertige, technologisch anspruchsvolle Produkte, die sich der internationalen Massenproduktion entziehen. Während die deutsche Industrie noch in vielen Bereichen auf große Produktionsvolumen setzt, haben sich Schweizer Unternehmen gezielt in profitable Nischen zurückgezogen.
Effizienz durch Wettbewerbsdruck
Die Währungspolitik spielt dabei eine entscheidende Rolle. Der starke Franken zwingt Unternehmen dazu, ständig effizienter zu werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Martin Schlegel, Präsident der Schweizer Nationalbank (SNB), beschreibt diesen Effekt so:
„Kurzfristig mag der starke Franken eine Belastung sein, langfristig zwingt er Unternehmen, innovativer und effizienter zu wirtschaften.“
Viele Unternehmen in der Schweiz haben durch den ständigen Kostendruck veraltete Strukturen frühzeitig abgebaut. Während sich die deutsche Industrie lange auf externe Faktoren wie den schwachen Euro oder günstige Energiepreise verlassen konnte, mussten sich Schweizer Unternehmen schon viel früher anpassen.

Von T-Shirts zu High-Tech-Geweben – Strukturwandel als Chance
Ein Beispiel für diesen Wandel ist die Schweizer Textilindustrie. Statt sich gegen Billiglohnländer zu behaupten, hat sie sich auf Hightech-Gewebe spezialisiert, die etwa in der Luftfahrt oder in der Medizintechnik Anwendung finden. Ähnlich haben sich andere Industrien angepasst – ein Prozess, den Deutschland in vielen Branchen noch vor sich hat.
Doch dieser Wandel war nicht ohne Opfer: Unternehmen, die den Sprung nicht geschafft haben, verschwanden. In Deutschland hat der Strukturwandel hingegen oft lange auf sich warten lassen – durch staatliche Subventionen, protektionistische Maßnahmen oder politische Zurückhaltung. Doch nun zeigt sich: Die Anpassung ist unausweichlich.
Lässt sich das Schweizer Modell auf Deutschland übertragen?
Deutschland kann von der Schweiz lernen, dass Spezialisierung und ständiger Effizienzdruck langfristig erfolgreicher sind als kurzfristige Entlastungsmaßnahmen.
Doch eine komplette Übertragung des Modells ist schwierig. Während die Schweiz mit ihrer kleineren, hochspezialisierten Wirtschaft den Wandel erfolgreich gemeistert hat, ist die deutsche Industrie stark auf Massenproduktion und Skaleneffekte angewiesen – insbesondere in der Automobilbranche.
„Nicht jedes deutsche Unternehmen kann sich einfach auf eine Nische konzentrieren“, sagt Rudolf Minsch, Chefökonom von economiesuisse. „Ein Land wie Deutschland braucht eine größere industrielle Basis, die nicht nur auf Hochtechnologie setzt.“
Die „Verschweizerung“ der deutschen Wirtschaft – schon im Gange?
Trotzdem zeigen aktuelle Zahlen, dass sich die deutsche Industrie allmählich in eine ähnliche Richtung bewegt. Während die Produktionszahlen zurückgehen, bleibt die industrielle Wertschöpfung relativ stabil. Deutsche Unternehmen beginnen, sich stärker auf margenstärkere Produkte zu fokussieren und weniger auf volumenintensive Fertigung.
Doch der Wandel ist schmerzhaft. Anders als in der Schweiz, wo der Strukturwandel früh begonnen hat, kommt er in Deutschland oft abrupt – etwa durch hohe Energiepreise oder geopolitische Risiken. Viele Unternehmen reagieren mit Massenentlassungen und Standortverlagerungen, weil sie sich zu lange auf günstige Rahmenbedingungen verlassen haben.
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