Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Februar 2022 sind rund eine Million Ukrainer nach Deutschland geflüchtet. Was ursprünglich als vorübergehender Schutz gedacht war, entwickelt sich zunehmend zu einem dauerhaften Aufenthalt: Mehr als die Hälfte der Geflüchteten plant laut einer neuen Studie, langfristig in Deutschland zu bleiben.
Was bedeutet das für die deutsche Wirtschaft? Welche Herausforderungen entstehen für den Arbeitsmarkt und das Sozialsystem? Und wie können Politik und Gesellschaft auf diese neue Realität reagieren?
Bleiben oder zurückkehren?
Laut einer am Montag veröffentlichten Studie des Mediendienstes Integration in Zusammenarbeit mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dem Forschungszentrum des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) und dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) unterscheiden sich die Rückkehrabsichten der Ukrainer deutlich nach Zuzugszeitraum:
- Von denjenigen, die zwischen Februar und Mai 2022 nach Deutschland kamen, wollen 59 Prozent dauerhaft bleiben.
- Bei denen, die erst ab Juni 2022 nach Deutschland flüchteten, sind es sogar 69 Prozent.
Zwei zentrale Faktoren beeinflussen die Entscheidung:
- Der Kriegsverlauf – 90 Prozent der Befragten geben an, dass ihre Rückkehrbereitschaft vom Ende des Krieges abhängt.
- Die wirtschaftliche Lage in der Ukraine – 60 Prozent sagen, dass sie nur zurückkehren würden, wenn sich die wirtschaftlichen Bedingungen in ihrer Heimat erheblich verbessern.
Diese Ergebnisse verdeutlichen: Selbst nach einem potenziellen Kriegsende ist nicht davon auszugehen, dass die Mehrheit der geflüchteten Ukrainer nach Hause zurückkehrt.

Arbeitsmarktintegration: Fortschritte, aber viele Hindernisse
Die wirtschaftliche Integration der ukrainischen Geflüchteten kommt voran, bleibt aber hinter den Erwartungen zurück. Laut Studie liegt die Erwerbstätigenquote derzeit bei 22 Prozent, mit einer steigenden Tendenz.
Im Vergleich dazu betrug die Erwerbstätigenquote syrischer Geflüchteter fünf Jahre nach ihrer Ankunft nur rund 50 Prozent – ein Wert, den ukrainische Migranten vermutlich schneller erreichen könnten.
Doch es gibt massive Hemmnisse:
- Mangel an Kinderbetreuungsplätzen: Da 75 Prozent der erwachsenen Geflüchteten Frauen sind, erschwert die unzureichende Betreuungssituation für Kinder den beruflichen Einstieg erheblich.
- Bürokratische Hürden: Die Anerkennung von Abschlüssen und die Einbindung in den deutschen Arbeitsmarkt laufen langsamer als erwartet.
- Sprachliche Barrieren: Trotz hoher Bildungsabschlüsse ist die deutsche Sprache für viele eine große Herausforderung.
Während einige Branchen, insbesondere das Gesundheitswesen und der IT-Sektor, bereits von den gut ausgebildeten Fachkräften profitieren, bleibt das volle Potenzial unausgeschöpft.
Soziale Absicherung: Belastung für das System oder Investition in die Zukunft?
Mit der steigenden Zahl ukrainischer Geflüchteter in Deutschland wächst auch die finanzielle Belastung für das Sozialsystem. Ukrainische Flüchtlinge haben seit 2022 Anspruch auf Bürgergeld und sind sozial besser abgesichert als Geflüchtete anderer Nationalitäten.
Fakten zur finanziellen Unterstützung:
- Seit Juni 2022 erhalten ukrainische Geflüchtete Sozialleistungen auf dem Niveau von Hartz IV (jetzt Bürgergeld).
- Die Bundesregierung gibt jährlich rund 7 Milliarden Euro für Unterkunft, Integration und Sozialleistungen für Ukrainer aus.
- Die Kosten für Sprachkurse, Kinderbetreuung und Arbeitsmarktintegration summieren sich auf weitere Milliardenbeträge.
Während Kritiker eine Überlastung des Sozialsystems befürchten, argumentieren Befürworter, dass eine erfolgreiche Integration die deutsche Wirtschaft langfristig stärken könnte. "Wenn es gelingt, gut ausgebildete Ukrainer nachhaltig in den Arbeitsmarkt einzubinden, könnten sie mittelfristig mehr in das System einzahlen, als sie entnehmen", so Migrationsforscher Herbert Brücker vom IAB.
Politische Herausforderungen: Zwischen Schutz und Integration
Die Zahlen der Studie unterstreichen, dass Deutschland sich auf eine langfristige Integration der Ukrainer einstellen muss. Doch die Politik steckt in einem Dilemma:
- Eine Verlängerung des Schutzstatus für Ukrainer? Das Aufenthaltsrecht für ukrainische Geflüchtete in der EU gilt vorerst bis März 2025. Die Bundesregierung wird bald entscheiden müssen, ob es eine langfristige Lösung braucht.
- Gleichstellung mit anderen Geflüchteten? Bisher genießen Ukrainer bevorzugte Bedingungen gegenüber Geflüchteten aus Syrien oder Afghanistan – ein Zustand, der zunehmend zu politischen Spannungen führt.
- Förderung oder Eigenverantwortung? Sollen weitere Integrationsmaßnahmen staatlich finanziert werden oder sollen Geflüchtete stärker zur Eigenverantwortung verpflichtet werden?
Die Ampel-Koalition steht vor einer schwierigen Weichenstellung: Wie viel Unterstützung ist notwendig, und wann wird Eigenständigkeit eingefordert?
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