Verunsicherte Republik
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: 38 Prozent der Deutschen fürchten laut einer Insa-Umfrage, Opfer einer Straftat zu werden. 47 Prozent berichten von einem spürbar verschlechterten Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum.
Und mehr als die Hälfte der Bevölkerung traut der Polizei nicht mehr zu, die innere Sicherheit unter Kontrolle zu halten.
Was früher als Randwahrnehmung galt, wird zunehmend zur Mitte der gesellschaftlichen Stimmungslage: Das Vertrauen in die staatliche Sicherheitsarchitektur erodiert – quer durch alle Altersgruppen und Parteipräferenzen.
Kriminalität wird persönlich
Was diese Entwicklung so brisant macht: Es handelt sich nicht um abstrakte Sorgen. 30 Prozent der Befragten geben an, selbst oder über das direkte Umfeld bereits Opfer einer Straftat gewesen zu sein.
Bei Anhängern linker Parteien liegt der Wert mit 43 Prozent überdurchschnittlich hoch, bei CDU/CSU-Wählern deutlich darunter. Ob diese Differenz Ausdruck unterschiedlicher Lebensrealitäten oder gefühlter Bedrohung ist, bleibt offen – sie zeigt jedoch, wie politisiert das Thema inzwischen ist.
Sicherheitsapparat unter Druck
Besonders alarmierend ist der Vertrauensverlust in die Sicherheitsbehörden. 55 Prozent halten die Polizei laut Umfrage nicht mehr für in der Lage, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten.
Das ist nicht nur ein Misstrauensvotum gegenüber einer der zentralen staatlichen Institutionen – es ist ein Warnsignal für das gesellschaftliche Grundvertrauen. Wenn Bürger den Eindruck gewinnen, dass der Staat seinen Schutzauftrag nicht mehr erfüllt, droht ein Rückzug ins Private – oder ein Ruf nach harten Antworten.
Politische Reaktionen – und Instrumentalisierung
AfD-Chefin Alice Weidel nutzte die Zahlen prompt, um eine Generalabrechnung mit der Bundesregierung zu formulieren. Sie sprach von einem „Totalversagen“ in der Migrationspolitik, warf CDU, SPD, Grünen und FDP kollektive Verantwortung vor und forderte „eine Zeitenwende in der Sicherheits- und Migrationspolitik“. Ihre Forderungen: Grenzschließungen, Rückführungen krimineller Ausländer, mehr Befugnisse für Polizei und Justiz.
Die AfD greift damit ein Narrativ auf, das sie seit Jahren systematisch bedient: Migration als Kernursache für Kriminalität. Dabei bleibt die Faktenlage komplex: Studien des Bundeskriminalamts (BKA) belegen zwar in bestimmten Bereichen überproportionale Tatbeteiligungen von Nichtdeutschen – differenzieren jedoch nach Alter, Geschlecht und sozialer Lage.

Einfache Ursache-Wirkung-Zusammenhänge greifen oft zu kurz, werden politisch aber gezielt verkürzt kommuniziert.
Ein Wandel, der über Parteigrenzen hinausgeht
Die Debatte über innere Sicherheit hat inzwischen die Mitte erreicht. Nicht nur rechte Parteien, auch Vertreter der CDU und SPD fordern schärfere Maßnahmen, etwa schnellere Abschiebungen oder mehr Videoüberwachung. Innenminister und Polizeigewerkschaften warnen seit Jahren vor Personalmangel, Überlastung und einer wachsenden Kluft zwischen Anspruch und Realität.
Doch Sicherheitsgefühl entsteht nicht allein durch Präsenz und Technik. Es hängt auch mit sozialer Kohäsion, öffentlicher Ordnung und politischem Diskurs zusammen. In einer Gesellschaft, in der Unterschiede immer stärker betont und Ängste öffentlich kultiviert werden, schrumpft das Vertrauen schneller als jede Kriminalstatistik.
Mehr Polizei? Mehr Rückführungen? Oder mehr Ehrlichkeit?
Die Frage ist also nicht nur: Wie viel Sicherheit kann der Staat leisten? Sondern auch: Wie viel Erwartung kann und darf er erzeugen? Wer suggeriert, es gebe „die eine“ Lösung – etwa durch Abschottung oder Abschreckung –, unterschätzt die Vielschichtigkeit urbaner, globalisierter Gesellschaften. Und verkennt, dass Kriminalitätsbekämpfung ebenso Prävention, Bildung und Integration umfasst wie Repression.
Ein Misstrauensvotum, das weit über die Polizei hinausgeht
Die aktuellen Umfragewerte markieren kein singuläres Stimmungsbild – sie sind ein Symptom tieferer gesellschaftlicher Unsicherheit. Sie betreffen nicht nur Innenpolitik, sondern auch das Selbstverständnis einer offenen Gesellschaft.
Wer Vertrauen zurückgewinnen will, braucht mehr als martialische Worte: Er braucht Handlungsfähigkeit, Augenmaß – und eine Sprache, die nicht weiter polarisiert, sondern verbindet.
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