18. Januar, 2025

Healthcare

Warum Fettleibigkeit neu definiert werden muss

Der Body-Mass-Index steht international unter Beschuss. Eine Gruppe von Experten fordert, den Fokus auf viszerales Fett zu legen – und Übergewicht differenzierter zu behandeln. Was das für Patienten und die Gesellschaft bedeutet.

Warum Fettleibigkeit neu definiert werden muss
Nicht alle Fettpolster sind gleich: Viszerales Fett, das sich um Organe sammelt, birgt hohe gesundheitliche Risiken.

Ein veralteter Maßstab

Ist der BMI noch zeitgemäß? Jahrzehntelang galt er als zentraler Indikator, um Übergewicht und Fettleibigkeit zu bewerten. Doch der Wert, der sich lediglich aus Gewicht und Körpergröße errechnet, ist zunehmend umstritten.

Experten kritisieren, dass er wichtige Faktoren wie Fettverteilung, Muskelmasse und individuelle Stoffwechselmerkmale völlig ignoriert.

Ein Beispiel: Ein Bodybuilder mit geringer Fettmasse kann laut BMI fettleibig sein, während ein unsportlicher Mensch mit gefährlichem viszeralem Fett im Bauchraum als gesund eingestuft wird.

Solche Ungenauigkeiten haben in der Praxis dazu geführt, dass Patienten falsch behandelt oder sogar stigmatisiert wurden.

Nun schlagen Wissenschaftler einen Paradigmenwechsel vor: Weg vom BMI, hin zu individuelleren Kriterien wie Taillenumfang oder Fettverteilung.

Der Feind im Bauch: Viszerales Fett als Risiko

Eine der zentralen Forderungen der internationalen Expertengruppe ist, das Augenmerk auf viszerales Fett zu legen – jenes Fett, das sich um Organe wie Leber und Herz sammelt.

Experten bemängeln, dass neue Messmethoden wie das Taillen-Hüft-Verhältnis noch nicht standardisiert genug sind.

Anders als das eher harmlose Unterhautfettgewebe ist viszerales Fett ein potenzieller Entzündungsherd und erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und andere chronische Leiden.

„Die Verteilung des Fettes im Körper spielt eine entscheidende Rolle für die Gesundheit“, erklärt Francesco Rubino, Adipositas-Spezialist am King’s College in London.

„Zwei Menschen mit dem gleichen BMI können völlig unterschiedliche gesundheitliche Risiken haben.“

Eine einfache Methode, um viszerales Fett zu messen, ist das Verhältnis von Taillen- zu Hüftumfang. Es zeigt deutlich, ob Fett vor allem im Bauchraum gespeichert ist – ein Indikator für gesundheitliche Probleme.

Neue Definitionen, neue Chancen

Die Experten wollen außerdem zwischen „klinischer“ und „präklinischer“ Adipositas unterscheiden. Menschen mit klinischer Adipositas zeigen bereits Auffälligkeiten wie schlechte Blutwerte oder eingeschränkte Organfunktionen. Präklinische Adipositas betrifft hingegen Personen, die trotz Übergewicht objektiv gesund sind.

Diese Differenzierung könnte den Umgang mit Fettleibigkeit revolutionieren. Gesunde Übergewichtige sollen in Zukunft nicht mehr mit Diäten und Medikamenten überhäuft werden. Stattdessen plädieren die Forscher für ein Monitoring, um frühzeitig eingreifen zu können, falls sich der Gesundheitszustand verschlechtert.

Abnehmspritzen und neue Therapien

Für Menschen mit klinischer Adipositas stehen inzwischen moderne Medikamente zur Verfügung. So genannte Inkretinmimetika, auch bekannt als „Abnehmspritzen“, greifen in die Appetitregulation ein und helfen Betroffenen, Gewicht zu verlieren.

Besonders Menschen mit chronischem Übergewicht, die allein durch Ernährung und Sport nicht abnehmen können, profitieren davon.


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Doch die Kostenübernahme durch Krankenkassen bleibt ein Streitpunkt. Derzeit übernehmen die gesetzlichen Kassen in Deutschland die Kosten für diese Medikamente oft nicht – sie gelten als Lifestyle-Produkte. Das führt dazu, dass viele Patienten auf eine Behandlung verzichten müssen.

Kritik und offene Fragen

Trotz aller Fortschritte gibt es auch Gegenstimmen. Kinderendokrinologe Thomas Reinehr bemängelt die mangelnde Standardisierung neuer Messmethoden.

„Der BMI ist einfach und präzise. Messungen von Taillen- oder Hüftumfang können stark variieren, je nachdem, wer misst und wie gemessen wird.“

Auch der psychologische Aspekt wird oft vernachlässigt. Besonders Kinder und Jugendliche leiden häufig unter dem sozialen Druck, der mit Übergewicht einhergeht. Die neuen Definitionen könnten dazu führen, dass diese Betroffenen keine Unterstützung mehr erhalten, weil sie körperlich gesund sind.

Ein gesellschaftliches Problem

Die Diskussion um Fettleibigkeit geht weit über die Medizin hinaus. Adipositas ist nicht nur eine Gesundheitsfrage, sondern auch ein gesellschaftliches und wirtschaftliches Problem. Chronische Krankheiten durch Übergewicht belasten die Gesundheitssysteme enorm. Gleichzeitig führt die Stigmatisierung Übergewichtiger oft zu sozialer Ausgrenzung und verminderten beruflichen Chancen.

Ein Umdenken ist notwendig: „Wir müssen weg von der Stigmatisierung und hin zu einer evidenzbasierten, fairen Behandlung“, fordert Martin Wabitsch vom Universitätsklinikum Ulm.