Die Warnung kommt aus London, zielt aber direkt auf Berlin
Wenn Ed Arnold spricht, hören Militärstrategen zu. Der Sicherheitsexperte der britischen Denkfabrik RUSI hat sich einen Namen gemacht mit nüchternen Analysen und unbequemen Prognosen.
Seine jüngste Einschätzung: Deutschland hat nicht mehr zehn Jahre Zeit, um seine Verteidigungsfähigkeit aufzubauen. Vielleicht noch zwei. Spätestens 2027, so Arnold, könnte Russland gezielt einen bewaffneten Konflikt an der Nato-Ostflanke provozieren.
Der Ernstfall heißt Baltikum
Der denkbare Schauplatz: Die Suwalki-Lücke, jener schmale Korridor zwischen Polen und Litauen, der als verwundbare Nahtstelle zwischen den baltischen Staaten und dem restlichen Nato-Gebiet gilt.
Sollte Russland dort ernst machen, käme es auf Tage, nicht Monate an. Zeit, die ein militärisch unterausgestattetes Deutschland nicht hätte.
Arnolds Botschaft: Jetzt handeln – nicht in zehn Jahren.
Munition statt Prestigeprojekte
Während die Bundesregierung Milliarden für komplexe Rüstungsprojekte plant, sieht Arnold vor allem einen Engpass, der sofort gefährlich werden könnte: Artilleriemunition. Die Bestände seien aufgebraucht, die Produktionskapazitäten aus der Zeit gefallen.
Was gebraucht wird, ist einfache, robuste Schlagkraft – nicht unbedingt Hightech.
„Was die Ukraine zeigt, ist, dass man nicht das Beste haben muss, sondern besser als der Gegner sein muss“, sagt Arnold.
Wer täglich zehn Systeme verliert, braucht Masse – keine Exzellenz im Katalog.

Wieder massentauglich denken
Es ist eine Kampfansage an deutsche Beschaffungslogik: Statt auf Goldrandlösungen zu setzen, müsse Berlin endlich industrielle Stückzahlen in den Blick nehmen.
IRIS-T, Taurus, Leopard 2 A8, Boxer – laut Arnold Systeme, die nicht nur effektiv sind, sondern auch schnell produziert und europaweit genutzt werden können. Deutschland könne hier Führungsnation sein, wenn es die industrielle Kapazität hochfährt.
Ein Beispiel liefert die Ukraine: Der veraltete Flakpanzer Gepard – ausgemustert in Deutschland – hat sich an der Front als lebensrettend erwiesen. Die Ironie: Deutschland braucht für die eigene Verteidigung nun teilweise das zurück, was man einst verschrottet hat.
Europas Waffensysteme sind zu amerikanisch
Arnold stellt eine Frage, die in Berlin ungern gehört wird: Ist es klug, in F-35 und Patriot zu investieren, wenn die USA zunehmend unberechenbar agieren?
In einer Welt, in der ein US-Präsident die Nato in Frage stellt, wirkt blinder Kauf patriotischer Systeme aus den Staaten nicht nur teuer, sondern strategisch naiv. Arnold plädiert für eine europäische Rüstungsstrategie – weniger Import, mehr Eigenproduktion.
Drohnenkrieg: Die neue Realität
Der Experte warnt zudem vor einem technologischen Rückstand bei Drohnen. Drohnen seien „allgegenwärtig auf dem Schlachtfeld“ – längst nicht nur zur Aufklärung, sondern in direkter Gefechtsführung auf unterster taktischer Ebene.
Doch Europa hinke hinterher, sowohl in der Anschaffung als auch in der Produktion. Das Problem: Was heute entwickelt wird, ist morgen schon veraltet. Wer keine flexiblen Produktionsketten hat, verliert.
Was folgt aus dieser Analyse?
Arnold zeichnet kein Katastrophenszenario, aber einen klaren Handlungsrahmen. Die Bundeswehr müsse sich innerhalb der nächsten 24 Monate kampfbereiter aufstellen – nicht in 240 Monaten. Berlin plane aktuell mit dem Kopf eines Friedenslandes in einer kriegstauglichen Welt.
Was es jetzt braucht, ist keine Rhetorik. Es braucht Munitionsfabriken.
Und was passiert, wenn Deutschland zu lange wartet?
Arnold hält sich mit Dramatik zurück, aber seine Botschaft ist deutlich: Sollte Russland 2027 die Initiative ergreifen – gezielt oder durch Eskalation – wird nicht die beste Technologie zählen, sondern Schnelligkeit, Verfügbarkeit und Robustheit.
Genau hier liegt Deutschlands größte Schwäche.
Die Frage, ob Berlin auf diese Realität vorbereitet ist, beantwortet Arnold nicht. Er stellt sie. Und überlässt die Antwort einer Regierung, die aktuell noch plant, als hätte sie alle Zeit der Welt.
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