31. März, 2025

Börse

Warum die Wall Street weiter davonzieht – trotz aller Zweifel

Trotz temporärer Schwäche des S&P 500 bleibt die Überlegenheit der US-Börse laut Goldman Sachs bestehen. Der Grund liegt nicht im kurzfristigen Kursrausch, sondern in der strategischen Tiefe amerikanischer Unternehmen.

Warum die Wall Street weiter davonzieht – trotz aller Zweifel
Mehr als Big Tech: Die US-Börse ist kein Ein-Themen-Markt – sie lebt von Innovationsbreite, nicht nur von Meta, Apple & Co.

Kapital schläft nicht – es denkt amerikanisch

Während Europas Börsen in diesem Jahr überraschend Boden gutmachen und selbst asiatische Indizes den S&P 500 überflügeln, bleibt für Goldman Sachs eines klar: Die Dominanz der USA an den Kapitalmärkten ist kein Ausrutscher der Geschichte, sondern strukturell bedingt. Und sie wird bleiben.

Was wie eine steile These klingt, basiert auf nüchternen Zahlen: Amerikanische Unternehmen investieren doppelt so viel in ihr eigenes Wachstum wie ihre internationalen Wettbewerber – und sie tun es effizienter. Das ist keine Modetrend-Analyse, sondern eine Wette auf Systemstärke.

Was ist eigentlich "Growth Investment Ratio"?

Goldman-Chefstratege David Kostin nennt eine zentrale Kennziffer: das Verhältnis der Wachstumsinvestitionen zur operativen Finanzkraft. In der Praxis heißt das: Unternehmen, die einen hohen Anteil ihres Cashflows in Forschung, Entwicklung und zukunftsgerichtete Sachinvestitionen stecken, setzen auf langfristige Skalierung – nicht auf kurzfristige Margenpflege.

Und genau hier liegt der Unterschied: Während Unternehmen im Rest der Welt rund 26 Prozent ihrer operativen Mittel in Wachstum investieren, liegt der US-Schnitt bei 42 Prozent – Tendenz steigend. Noch signifikanter ist die Rendite auf diese Investitionen, die in den USA bei 80 Prozent liegt, gegenüber 73 Prozent international.

Kapitalallokation als Wettbewerbsvorteil: Während europäische Unternehmen Liquidität oft parken, investieren US-Konzerne sie aggressiv in Zukunftstechnologien.

Wachstum, das nicht nur passiert – sondern geplant ist

Das ist keine Selbstverständlichkeit. Wer in den USA investiert, tut das häufig in Technologien, die noch kein Massenprodukt sind: KI, Biotech, Quantencomputing, autonomes Fahren. Hier entstehen keine kurzfristigen Gewinne, sondern Netzwerkeffekte, Eintrittsbarrieren, Plattformökonomie. Amerikanische Tech-Firmen definieren ganze Branchen neu – vom Chipdesign bis zur Logistik.

Die hohe Kapitalrendite ist dabei kein Zufallsprodukt, sondern Ergebnis eines Ökosystems, das Risiko belohnt und Innovation finanziert – von der Hochschulforschung über Venture Capital bis zur Börse.

Wall Street: Rücksetzer ja, Systemschwäche nein

Dass der S&P 500 im bisherigen Jahresverlauf hinterherläuft, ist für Goldman kein Warnsignal, sondern eine Normalisierung nach einem außergewöhnlich starken Jahr 2024. Die Korrektur wird eher als Verschnaufpause gewertet. Die strukturelle Stärke bleibt: hohe Liquidität, unternehmerische Innovationskraft, geopolitisches Vertrauen.

Andere Häuser wie Citi raten zwar zur Umschichtung Richtung China, doch selbst Morgan Stanley sieht die USA wieder auf dem Weg zur Dominanz – getragen von einem potenziellen Comeback der großen Tech-Werte. Auch BlackRock setzt auf einzelne Märkte außerhalb der USA, bleibt aber beim amerikanischen Markt als Basisinvestment investiert.

Trump-Faktor: Unsicherheit mit Ansage

Ein Unsicherheitsfaktor bleibt: die wirtschafts- und handelspolitische Linie Donald Trumps in seiner zweiten Amtszeit. Strafzölle, Dekrete, geopolitische Irritationen – all das kann internationale Lieferketten treffen und Investoren verunsichern. Doch bislang gelingt es US-Unternehmen bemerkenswert gut, diese Unsicherheiten einzuplanen oder sogar zu nutzen – etwa durch Rückverlagerung von Wertschöpfung in die USA.

Kostin macht klar: Solange die Investitionen hoch und die Kapitalrenditen überdurchschnittlich bleiben, wird die US-Börse ihren Vorsprung verteidigen.

Globale Märkte laufen auf Sicht – die USA auf Strategie

Der entscheidende Unterschied liegt in der strategischen Langfristigkeit. Während Europa oft noch in Dekarbonisierungsdebatten festhängt und China mit strukturellen Wachstumsschwächen kämpft, agieren viele US-Konzerne bereits auf der nächsten Entwicklungsstufe: Sie bauen Plattformen, orchestrieren Lieferketten und entwickeln eigene Infrastrukturen – ob Cloud, Chips oder Satellitenkonnektivität.

Amerikas Kapitalmärkte sind nicht immun gegen Krisen – aber sie sind erstaunlich anpassungsfähig. Die Fähigkeit zur Selbstkorrektur gehört zum Geschäftsmodell.

Überlegenheit mit Substanz

Der „American exceptionalism“ an den Kapitalmärkten ist keine Marketingfloskel, sondern Ausdruck eines tief verankerten Systems aus Investitionskultur, Technologieorientierung und Effizienz.

Wer die Entwicklung an den globalen Börsen verstehen will, muss verstehen, warum in den USA das Risiko nicht nur getragen, sondern belohnt wird. Und warum der Kapitalismus dort nicht perfekt, aber schneller ist als anderswo.

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