Beiträge steigen – mitten im Jahr
Die gesetzlich Versicherten in Deutschland müssen sich auf weitere Belastungen einstellen. Nachdem die Beitragssätze zu Jahresbeginn bereits sprunghaft angestiegen waren, greifen nun auch unterjährig neue Erhöhungen.
Mehrere Krankenkassen haben angekündigt, ihre Beiträge zum 1. Mai noch einmal anzuheben – ein Vorgang, der in dieser Form bislang äußerst selten war.
Dabei sind die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hoch: Die Beschäftigungslage ist trotz Rezession robust geblieben, die Beitragseinnahmen steigen. Dennoch reichen die Mittel nicht aus, um die Ausgaben zu decken.
Dramatische Finanzlage bei den Kassen
Die Vorstandschefin des GKV-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer, beschreibt die Situation als alarmierend. Zwar liegt der durchschnittliche Beitragssatz seit Jahresbeginn bei 17,52 Prozent und damit deutlich höher als 2024 (16,3 Prozent).
Dennoch hätten die Kassen ihre Rücklagen weitgehend aufgebraucht. Die Reserven entsprächen im Schnitt nur noch sieben Prozent einer Monatsausgabe.
In den vergangenen zwei Monaten erhöhten sechs Kassen ihre Sätze. Die Perspektive sei düster: Ohne eine schnelle politische Lösung drohe eine weitere Beitragsflucht nach oben, so Pfeiffer.
Reformen? Vorerst nicht
Die künftige Bundesregierung aus Union und SPD hat Reformbedarf erkannt, plant jedoch zunächst eine Expertenkommission. Ergebnisse sollen frühestens 2027 vorliegen. Das GKV-System müsse allerdings sofort stabilisiert werden, mahnt Pfeiffer. „Bis dahin können die Beitragssätze durch die Decke gehen.“
Konkret fordert die GKV ein Ausgabenmoratorium: Künftig dürften neue Ausgaben nur eingeführt werden, wenn sie durch laufende Einnahmen gedeckt seien. Preissteigerungen bei Arzneimitteln und Honorarerhöhungen für Ärzte sollen begrenzt werden.
Beispiel BKK Firmus: Zwei Erhöhungen in vier Monaten
Wie ernst die Lage ist, zeigt das Beispiel der BKK Firmus. Die bundesweit geöffnete Kasse hatte ihren Beitragssatz zum Jahreswechsel bereits auf 16,44 Prozent angehoben.
Nun folgt die nächste Steigerung um 0,34 Punkte auf 16,78 Prozent – innerhalb von nur vier Monaten ein Plus von insgesamt 1,28 Prozentpunkten.
Damit nähert sich die vormals günstigste Kasse dem Niveau anderer großer Anbieter wie der HKK an. Der Konkurrenzkampf unter den Krankenkassen verschärft sich – und mit ihm die Kritik.
Tricksereien und scharfe Vorwürfe
Besonders scharf äußerte sich Olaf Woggan, Chef der AOK Bremen/Bremerhaven: Wenn eine Kasse wie die BKK Firmus erst besonders niedrige Sätze anbiete und dann rasch nachziehe, sei das „Trickserei“ gegenüber den Beitragszahlern. Solide Haushaltsführung sehe anders aus, so Woggan.
Tatsächlich sind Versicherungen gesetzlich verpflichtet, Beiträge transparent und nachhaltig zu kalkulieren. Doch angesichts schrumpfender Rücklagen wächst der Druck, schnell zusätzliche Einnahmen zu generieren.
Strukturelle Probleme ungelöst
Die aktuelle Entwicklung ist Symptom tiefer liegender Probleme: Steigende Kosten für Klinikbehandlungen, Arzneimittel und Pflege treiben die Ausgaben der Kassen ungebremst nach oben. Gleichzeitig fehlen verbindliche politische Maßnahmen zur Entlastung.
AOK-Chefin Carola Reimann spricht von einer historischen Krise der GKV. „Das ist eine alarmierende Entwicklung, wie wir sie noch nie gesehen haben.“ Ihre Kritik richtet sich auch an den noch amtierenden Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): Trotz guter Einnahmesituation seien strukturelle Reformen unterblieben.
Lohnnebenkosten steigen auf Rekordniveau
Die Belastung der Erwerbstätigen steigt spürbar. Inzwischen erreichen die Beiträge zur Krankenversicherung fast das Niveau der Rentenbeiträge – und zusammen mit Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung summieren sich die Sozialabgaben auf über 42 Prozent des Bruttolohns.
Ursprünglich hatten Regierungen eine Obergrenze von 40 Prozent angestrebt, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland zu sichern. Diese Schwelle ist längst überschritten.
Ruf nach Entlastung
Vertreter der Kassen fordern daher, dass der Staat künftig höhere Beiträge für Bürgergeldempfänger übernimmt, was das System um rund zehn Milliarden Euro entlasten könnte. Auch eine vollständige Finanzierung der Krankenhausbauten durch die Länder sowie reduzierte Mehrwertsteuersätze auf Arznei- und Hilfsmittel stehen auf der Wunschliste.
„Mit einem Paket aus solchen Maßnahmen könnten wir die GKV um 30 Milliarden Euro pro Jahr entlasten“, rechnet BKK-Dachverbandschef Franz Knieps vor. Der Handlungsbedarf sei dringend.
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