US-Sicherheitsgarantien wackeln wie nie zuvor
Für viele Deutsche mag die Bedrohung durch Russlands Atomwaffen das größte Risiko sein. Doch eine neue Studie des European University Institute (EUI) zeigt ein anderes Bild: Der Rückzug der USA aus ihrer Rolle als Europas Sicherheitsgarant wird von Experten als das wahrscheinlichste und folgenschwerste Szenario eingestuft.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat keine andere Nation so entscheidend zur europäischen Sicherheit beigetragen wie die Vereinigten Staaten. Doch diese Ära scheint zu bröckeln.
Die Wiederwahl von Donald Trump im vergangenen November hat die Befürchtungen verstärkt. Mit seiner „America First“-Agenda und einer offenen Abneigung gegenüber multilateralen Bündnissen wie der NATO hat Trump bereits in seiner ersten Amtszeit gezeigt, wie schnell er alte Allianzen in Frage stellen kann.
„Die Abhängigkeit Europas von den USA ist nicht nur ein strukturelles Problem – sie ist eine strategische Schwachstelle“, so Veronica Anghel, Leiterin der EUI-Studie.
Trumps Isolationismus – eine Bedrohung für die NATO
Donald Trump hatte während seiner ersten Amtszeit mehrfach angedroht, die Unterstützung der NATO von höheren Verteidigungsausgaben europäischer Partner abhängig zu machen.
Zwar haben Länder wie Deutschland ihre Militärausgaben seitdem erhöht, doch die transatlantische Allianz bleibt fragil. Besonders besorgniserregend ist der wachsende Isolationismus in den USA: Nur noch rund 60 Prozent der Republikaner befürworten laut Umfragen eine führende Rolle der USA in der Welt – ein drastischer Rückgang im Vergleich zu früheren Jahrzehnten.
Trumps Wiederwahl könnte dazu führen, dass die USA ihre Schutzrolle weiter reduzieren. Für Europa bedeutet das eine gefährliche Lücke in der Sicherheitsarchitektur.
„Ein Rückzug der USA wäre für die NATO existenziell. Europa müsste plötzlich eine Rolle übernehmen, auf die es weder militärisch noch politisch vorbereitet ist“, warnt Anghel.
Gefährliche Szenarien: Ukraine und Nahost
Der Ukraine-Krieg zeigt bereits die Schwächen europäischer Einigkeit. Während die USA die Hauptlast der militärischen Unterstützung tragen, sind die EU-Länder oft uneins über die richtige Strategie.
Die EUI-Studie warnt, dass ein für Russland vorteilhafter Waffenstillstand nicht nur Moskaus Kontrolle über besetzte Gebiete zementieren würde, sondern auch die Spannungen innerhalb der NATO verschärfen könnte.
Auch der schwelende Konflikt zwischen Israel und dem Iran birgt Risiken. Ein militärischer Konflikt in der Region könnte nicht nur neue Flüchtlingsbewegungen auslösen, sondern auch die Energieversorgung Europas gefährden.
Für Trump, der sich im Wahlkampf als Gegner von „endlosen Kriegen“ positioniert hat, würde dies eine Zwickmühle schaffen: Entweder er greift ein und widerspricht seinen Wahlversprechen – oder er riskiert eine Eskalation, die auch die USA destabilisieren könnte.
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Was Europa jetzt tun muss
Die Ergebnisse der Studie sind ein Weckruf für Europa. Der Kontinent muss unabhängiger werden – nicht nur in Fragen der Verteidigung, sondern auch wirtschaftlich und geopolitisch.
„Europa hat sich zu lange auf die Sicherheitsgarantien der USA verlassen“, sagt Anghel. „Jetzt ist der Zeitpunkt, um diese Abhängigkeit zu reduzieren.“
Die EU müsste nicht nur ihre Verteidigungsausgaben weiter erhöhen, sondern auch stärker in gemeinsame Projekte investieren. Die Schaffung einer eigenständigen europäischen Verteidigungsunion, die seit Jahren diskutiert wird, könnte nun zur dringenden Notwendigkeit werden.