29. Januar, 2025

Wirtschaft

Wachstum statt Werte: Wie Davos den Wandel der Wirtschaftsethik spiegelt

Beim Weltwirtschaftsforum 2024 rückt das Streben nach Wachstum ins Zentrum – und verdrängt die Diskussion über Werte. Unternehmen und Politik setzen verstärkt auf Realpolitik und transaktionale Lösungen. Was bedeutet das für eine globalisierte Weltordnung?

Wachstum statt Werte: Wie Davos den Wandel der Wirtschaftsethik spiegelt
Die Bereitschaft, Regeln zu brechen, nimmt weltweit zu – eine Umfrage zeigt, dass 25 Prozent der Befragten Desinformationen für akzeptabel halten.

Die Kälte des Davoser Winters schien in diesem Jahr sinnbildlich für den Ton des Weltwirtschaftsforums (WEF) zu stehen. In einer Zeit, in der globale Konflikte, wirtschaftliche Unsicherheiten und gesellschaftliche Polarisierung die Schlagzeilen dominieren, war das zentrale Thema klar: Wachstum um jeden Preis.

Die Werte, die früher oft beschworen wurden – Nachhaltigkeit, Diversität oder soziale Verantwortung – traten zugunsten pragmatischer Realpolitik in den Hintergrund.

„The business of business is business“ – die alte Weisheit des Nobelpreisträgers Milton Friedman schien in Davos wieder salonfähig zu sein. Während Unternehmen wie Total oder die Bank of America auf der Bühne die wirtschaftlichen Herausforderungen skizzierten, wurde kaum noch der Versuch unternommen, ihre Handlungen an größere moralische Ideale zu knüpfen.

„Der Kernwert, der in der Wirtschaft noch bleibt, ist wirtschaftliches Wachstum“, resümierte Nick Studer, Chef der Unternehmensberatung Oliver Wyman, prägnant.

Pragmatismus statt Prinzipien

Das 2024 wiederholt bemühte Schlagwort „Realpolitik“ zeigt die Verschiebung in den Prioritäten der Wirtschaftseliten. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen etwa sprach sich auf der Konferenz für den Ausbau der Handelsbeziehungen zu Indien und China aus – trotz deren autoritärer Tendenzen. Von der einstigen Vision einer wertebasierten globalen Wirtschaftspolitik bleibt wenig übrig.

Während Ursula von der Leyen in Davos Handelsbeziehungen mit China und Indien betont, treten demokratische Werte in den Hintergrund.

Auch für Unternehmenslenker stehen Werte nicht mehr an erster Stelle. Joe Kaeser, Aufsichtsratsvorsitzender von Siemens Energy, stellte offen fest:

„Wenn Sie Interessen der Kunden nicht bedienen, machen Sie keinen Umsatz mehr. Das ist die Realität.“

Der Wunsch nach wirtschaftlichem Erfolg übertrumpft zunehmend moralische Erwägungen. Dies zeigt sich besonders deutlich in der neu aufkeimenden Bereitschaft vieler Staaten und Unternehmen, bisher geltende Regeln zu hinterfragen oder sogar zu brechen.

Wachsende Toleranz für Regelbrüche

Der gesellschaftliche Konsens über grundlegende Werte scheint zu bröckeln. Eine Umfrage des „Edelman Trust Barometers“, bei der 33.000 Menschen aus 28 Ländern befragt wurden, offenbarte eine alarmierende Entwicklung: 25 Prozent halten es für akzeptabel, bewusst Desinformationen zu verbreiten, während 23 Prozent Gewalt oder Sachbeschädigung für gerechtfertigt halten. Diese Daten spiegeln eine globale Erosion des Vertrauens und der Regelakzeptanz wider.

Insbesondere für Demokratien wie Deutschland, die auf der Einhaltung von Regeln und Prinzipien beruhen, könnte dieser Wandel eine massive Herausforderung darstellen. Angela Merkel, die 2009 in Davos noch die Schaffung eines „Weltwirtschaftsrats“ forderte, wäre heute wohl mit Gelächter konfrontiert.

Der Niedergang der Werteorientierung

Auch die Annahme, dass wirtschaftliche Entwicklung automatisch zu einem Fortschritt in Richtung liberaler Werte führen würde, wurde widerlegt. Der „World Value Survey“ (WVS) zeigt, dass sich Wertevorstellungen weltweit nicht homogen entwickeln. Die USA etwa bleiben trotz ihrer globalen Prägekraft kulturell und gesellschaftlich deutlich traditioneller als viele andere postindustrielle Länder.

Stephen Pinker, Harvard-Psychologe und regelmäßiger Gast in Davos, warnte: „Was wirklich Sorge machen muss, ist, dass es nur noch wenige Champions einer wertebasierten Weltordnung gibt.“

Realpolitik als einzige Konstante

Optimisten unter den Teilnehmenden des WEF setzen darauf, dass transaktionaler Pragmatismus langfristig für Stabilität sorgen könnte. Die Bereitschaft, Deals abzuschließen und kurzfristige Vorteile zu suchen, mag angesichts globaler Unsicherheiten attraktiv wirken. Doch diese Haltung birgt Gefahren: Ein System, das ohne gemeinsame Werte funktioniert, könnte anfälliger für Misstrauen und Konflikte sein.

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