Zwei Jahre warten, wenn alles gut läuft
Wer gehofft hatte, mit dem Regierungswechsel kämen spürbare Steuerentlastungen, muss sich gedulden – mindestens bis 2027.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann kündigte am Sonntagabend im „Bericht aus Berlin“ an, die Einkommensteuer könne dann gesenkt werden, wenn die Wirtschaft wachse. Eine klassische Hinhaltetaktik mit eingebautem Konjunktiv.
Der Spielraum für echte Entlastungen scheint begrenzt – nicht nur finanziell, sondern auch politisch. Schon Friedrich Merz hatte zuletzt das Wort „Steuererhöhung“ nicht mehr ausgeschlossen.
Nun also Steuererleichterungen – aber eben nicht jetzt, sondern irgendwann später. Und nur, wenn das Wachstum mitspielt. Eine unklare Botschaft zur Unzeit.
Mindestlohn als Minenfeld
Noch explosiver als die vage Steuerankündigung: der beginnende Machtkampf um den Mindestlohn. Während Linnemann betont, die Politik habe sich aus der Lohnfindung herauszuhalten, gibt sich SPD-Chef Lars Klingbeil betont optimistisch.
15 Euro Mindestlohn seien ab 2026 realistisch – und durch die Geschäftsordnung der Mindestlohnkommission sogar wahrscheinlich. Das klingt nach Abstimmung, sieht aber nach Konflikt aus.
Die Union sieht die Lohnfindung als Sache der Kommission – die SPD betrachtet die Zielmarke von 15 Euro hingegen längst als politische Erwartung. Schon jetzt wirkt die Koalition an dieser Stelle erstaunlich uneins. Und das, noch bevor ein gemeinsames Gesetz beschlossen wurde.
Vertrauensvorschuss oder Vorschusslorbeeren?
Klingbeil versucht derweil zu beschwichtigen: Die neue Regierung solle nicht mit Streit beginnen, wie es die Ampel tat. Doch dass der SPD-Chef den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz verteidigen muss – gegen Teile der eigenen Partei – zeigt, wie brüchig das Bündnis schon in der Gründungsphase ist.

Die Zustimmung an der SPD-Basis bleibt verhalten. Viele Genossen nehmen Merz seinen wirtschaftsliberalen Kurs und seinen migrationspolitischen Schwenk nicht ab.
Vertrauen sei gewachsen, heißt es. Doch im politischen Berlin wird längst darüber spekuliert, ob die Koalition überhaupt ein gemeinsames Profil entwickeln kann. Bislang klingt vieles nach Formelkompromissen – und wenig nach konkreter, gemeinsamer Vision.
Ein Ziel ohne Fahrplan
Die Ankündigung einer Steuerentlastung 2027 könnte zur Nagelprobe werden. Denn bis dahin müssen CDU und SPD zeigen, ob sie die strukturellen Herausforderungen tatsächlich anpacken – oder weiter auf politische Symbolik setzen. Die Unternehmen fragen sich bereits jetzt, wann „Wachstum durch Entlastung“ konkret werden soll. Derzeit überwiegen Zweifel.
Für Linnemann ist die Ansage ein doppelter Drahtseilakt: Sie muss sowohl die wirtschaftsnahe Klientel der Union beruhigen als auch den sozialen Kompromiss mit der SPD wahren. Dass gleichzeitig über 15 Euro Mindestlohn diskutiert wird, verschärft die ideologischen Spannungen.
Start im Nebel
Der Auftritt Linnemanns macht eines deutlich: Die neue Regierung startet mit bekannten Mustern – Versprechen mit langer Laufzeit, Zielmarken ohne klare Roadmap und Koalitionspartner, die unterschiedliche Botschaften senden. Was als Aufbruch verkauft wird, bleibt vorerst eine Ankündigung. Und die Frage, ob die Steuerlast in Deutschland sinkt, wird auch in dieser Legislatur zur Hängepartie.