Der große Plan: Werden, wie der Gegner denkt
Mehr als fünf Meter lang, drei Sitzreihen, futuristisches Design – der ID.Era ist so etwas wie Volkswagens Antwort auf das eigene Versagen. Eine Antwort, die man hierzulande nie zu Gesicht bekommt.
Denn dieses Modell kommt nicht nach Europa. Warum auch? Gebaut wurde er für ein ganz anderes Publikum – für China. Und nur für China.
Der Konzern, der einst fast jede zweite Limousine im Reich der Mitte verkauft hat, ist dort längst vom E-Auto-Zug gefallen. Jetzt versucht VW den Sprung zurück auf den Fahrersitz – mit einer Strategie, die kaum deutscher sein könnte: Man macht es einfach wie die Chinesen. Aber mit deutschem Geld.
Made in Hefei, gedacht in Peking
„In China für China“ – das klingt zunächst nach PR-Floskel. Doch Ralf Brandstätter, Volkswagens Statthalter in Peking, meint es ernst. Seine Abteilung operiert wie ein eigenes Unternehmen: eigene Modelle, eigene Entwickler, eigene Partner.
Die jüngste Fahrzeugoffensive ist das sichtbarste Zeichen dieses Wandels. Was auf der Automesse in Shanghai präsentiert wurde, ist nicht weniger als eine neue Denkweise im Wolfsburger Konzern: Wenn du es selbst nicht besser kannst, lerne vom Gegner.
Der ID.Era, der ID.Aura (geplant für umgerechnet 17.000 Euro) und der ID.Evo – das erste Ergebnis der Kooperation mit dem chinesischen Elektro-Start-up XPeng – sind Ausdruck dieser Wandlung.
Der Stil: modern. Der Preis: konkurrenzfähig. Die Technik? China pur. Vom Design über die Elektronik bis zur Fertigung – deutsche Ingenieure durften diesmal nur zuschauen.

Der Exodus der Entwicklung
Die Deutschen geben ab – und zwar fast alles. „Die initiale Entwicklung, die komplette Freigabe – künftig alles in chinesischer Hand“, sagt Mercedes-Entwicklungsvorstand Markus Schäfer.
Auch die Stuttgarter haben sich dem neuen Dogma unterworfen: Lokalisierung bis ins letzte Bauteil. In China zu bestehen, heißt inzwischen: dort auch denken zu lernen.
Rund 2.000 Entwickler beschäftigt allein Mercedes inzwischen im Land, VW dürfte noch darüber liegen. Was früher aus Sindelfingen kam, entsteht heute in Shanghai und Hefei. Der Rest der Welt? Wird zur Option.
Alte Werke, leere Hallen
Der Grund für all das ist simpel – und brutal: VW hat in China ein Problem. Ein großes. Die Werke dort sind auf fünf Millionen Autos im Jahr ausgelegt. 2024 verkauft wurden gerade einmal 2,7 Millionen.
Die Auslastung? Katastrophal. Die Marge? Noch schlimmer. Kein Wunder: Auf dem chinesischen Automarkt herrscht ein Preiskrieg, wie ihn Europa noch nie gesehen hat.
Elektroautos dominieren mittlerweile mehr als die Hälfte des Neuwagenmarkts. Sie sind günstiger als Verbrenner, Strom kostet weniger als Benzin – und chinesische Marken wie BYD, Nio oder Xiaomi gelten längst als cooler als die alten westlichen Platzhirsche.
Rückzug ausgeschlossen – Expansion nach Osten
Doch VW will nicht aufgeben. Im Gegenteil. Der Konzern hat in den vergangenen Jahren mehr als 3,5 Milliarden Euro in China investiert. Und was einmal als Verteidigung gedacht war, wird nun zur Offensive: Exportpläne nach Südostasien stehen im Raum – Malaysia, Vietnam, Zentralasien. Wer in China überlebt, will künftig auch von dort liefern.
Nach Europa wird es der ID.Era dennoch nicht schaffen. Das will die EU mit Schutzzöllen verhindern. In die USA? Noch utopischer. Also testet VW den China-Export an kleineren Märkten – und hofft auf politischen Rückenwind.
Der letzte Vorteil heißt Sicherheit
Einen Joker haben die Deutschen aber noch: Sicherheit. Während sich chinesische Marken mit ihrer Software-Kompetenz schmücken, betonen VW und Mercedes neuerdings ganz klassisch ihre Crash-Test-Werte. Nach einem Unfall mit einem Xiaomi-Auto in China ist das Thema in aller Munde – und plötzlich klingt „deutsche Gründlichkeit“ wieder attraktiv.
VW will mit Qualität punkten, mit Erfahrung, mit seinem Händlernetz. Ob das reicht, wird sich zeigen. Im Moment hat man sich jedenfalls der Realität angepasst: Der deutsche Autobauer ist in China längst chinesischer als so mancher Chinese.
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