Die Viertagewoche klingt wie ein Traum: Weniger arbeiten, mehr Freizeit – und das vielleicht sogar bei gleichem Gehalt. Doch die Realität sieht anders aus. Bei Phoenix Contact, einem Weltmarktführer für High-Tech-Steckverbindungen, wird die Viertagewoche ab 2025 eingeführt – nicht als Fortschritt, sondern aus der Not heraus. Der Umsatz des Unternehmens brach von 3,6 auf 3 Milliarden Euro ein, die Produktion ist nicht ausgelastet.
Ein Drittel der Belegschaft in Ostwestfalen wird künftig 30 statt 35 Stunden arbeiten, verteilt auf vier Tage – allerdings mit einem Lohnverzicht von fünf Prozent. Was wie eine Innovation klingt, ist in Wahrheit eine Reaktion auf eine wirtschaftliche Schieflage.
Ein Modell am Rand der Realität
Eine Studie der Universität Münster zeigt, dass Unternehmen, die die Viertagewoche freiwillig einführen, überwiegend positive Erfahrungen machen.
Doch die Praxis sieht anders aus: Nur 0,6 Prozent aller Stellenanzeigen in Deutschland bieten die Viertagewoche überhaupt an, wie eine Auswertung von Index Research ergab. V
on den über 11 Millionen ausgeschriebenen Stellen im Jahr 2024 enthielten gerade einmal 65.000 das Versprechen auf eine verkürzte Arbeitswoche.
„Die Viertagewoche ist ein Medienhype, keine wirtschaftliche Realität“, sagt Index-CEO Jürgen Grenz.
Unternehmen priorisieren stattdessen flexible Arbeitszeiten, die besser auf individuelle Bedürfnisse eingehen.
Zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Auch Bewerber scheinen von der Viertagewoche wenig überzeugt. Lena Lindemann, Arbeitsdirektorin der Ergo Gruppe, erklärt: „Mitarbeiter wünschen sich in erster Linie Flexibilität, nicht weniger Arbeitszeit.“
Die Möglichkeit, Arbeitsstunden und -orte an die persönliche Lebenssituation anzupassen, sei wichtiger als eine pauschale Reduktion der Arbeitstage.
Selbst in Städten mit einer hohen Dichte an Arbeitsplätzen ist die Viertagewoche kaum zu finden. In Berlin, wo im Jahr 2024 über 700.000 Stellen ausgeschrieben wurden, boten nur 3662 Unternehmen – weniger als 0,5 Prozent – eine Viertagewoche an. In Hamburg waren es 0,6 Prozent, in München 0,57 Prozent. Die Zahlen unterstreichen, dass das Modell trotz seiner Popularität in der öffentlichen Debatte praktisch keine Rolle spielt.
Ökonomische Herausforderungen
Der Fachkräftemangel, oft als Argument für die Einführung der Viertagewoche genannt, könnte das Modell zumindest theoretisch vorantreiben. Doch die Daten zeigen, dass Unternehmen andere Wege bevorzugen.
Besonders bei Spitzenpositionen und ungelernter Arbeit ist die Viertagewoche nahezu unsichtbar: Von 42.000 ausgeschriebenen Stellen für Geschäftsführer und Vorstände boten nur 134 Unternehmen die Möglichkeit einer verkürzten Arbeitswoche. Bei ungelernter Arbeit lag der Anteil bei 0,17 Prozent.
Die Viertagewoche bleibt hingegen für Fachkräfte mit Berufsausbildung vergleichsweise präsenter: Hier wurde jede 150. Stelle mit der Option beworben. Die Zahlen zeigen, dass das Modell am ehesten in Bereichen Anwendung findet, in denen Unternehmen mit hochqualifizierten Talenten konkurrieren.
Eine Nischenlösung für Krisenzeiten
Für Unternehmen wie Phoenix Contact ist die Viertagewoche eine Notlösung. Mit Kurzarbeit konnte das Unternehmen die Krise nicht mehr bewältigen, da die rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft waren.
Für die betroffenen Mitarbeiter mag die zusätzliche Freizeit ein positiver Nebeneffekt sein, doch der wirtschaftliche Hintergrund bleibt problematisch.
Ein ähnliches Bild zeigt sich in der Versicherungsbranche: Hochspezialisierte Experten wie Aktuare – Fachkräfte, die Risiken für Versicherungen bewerten – bleiben gefragt, doch auch hier spielt die Viertagewoche keine Rolle. „Die Nachfrage nach Spitzenkräften bleibt intensiv, und klassische Karrierewege verschwinden zunehmend“, sagt Lindemann von Ergo.
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