Oktober 2023: Demonstrationszug zum Stahl-Aktionstag in Dillingen. Die Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung lösen intensive Diskussionen aus, die über die Stahlindustrie hinausreichen.
Die bevorstehenden Tarifverhandlungen in der Stahlindustrie prägen die Schlagzeilen – nicht nur wegen der gewaltigen Forderung von 8,5 Prozent mehr Gehalt für rund 80.000 Beschäftigte.
Die IG Metall verlangt gleichzeitig eine Arbeitszeitverkürzung von 35 auf 32 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich, was eine Viertagewoche ermöglichen würde.
Diese Forderungen stoßen auf unterschiedliche Resonanz: Die Beschäftigten fühlen sich in ihren Wünschen nach besserer Work-Life-Balance bestärkt. Gleichzeitig erhebt die Arbeitgeberseite energischen Widerstand gegen die Idee einer pauschalen Arbeitszeitverkürzung.
Kritiker argumentieren, dass die Stahlindustrie, mittendrin im Wandel zur klimafreundlichen Produktion und auf staatliche Unterstützung angewiesen, die drastische Lohnforderung nicht bewältigen kann. Ein klares Signal in Richtung Work-Life-Balance könnte dem Prozess der Erneuerung abträglich sein.
Die Nordrhein-westfälische IG-Metall-Führung hingegen argumentiert, dass Arbeitszeitverkürzungen nicht nur zur Jobsicherheit beitragen, sondern auch die Attraktivität der Branche steigern könnten. Studien unterstützen diese These, indem sie zeigen, dass Produktivitätseinbußen nicht zwangsläufig folgen müssen.
Die Arbeitgeberseite kontert mit Bedenken um die nötigen Arbeitskräfte für die Umstellung zur klimaneutralen Produktion. Weiterhin argumentieren sie, dass die herangezogenen Studien nur begrenzte Aussagekraft besitzen.
Die Spannungen, die durch die Tarifrunde in der Stahlindustrie aufgebrochen sind, reichen weit über die Branche hinaus. Die Arbeitgeber befürchten, dass ähnliche Forderungen auch in anderen Sektoren Gehör finden könnten.
Eine ähnlich verlaufende Auseinandersetzung findet sich in den aktuellen Verhandlungen zwischen der Lokführergewerkschaft GDL und der Deutschen Bahn. Die Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung und höheren Löhnen zeichnen ein deutliches Bild der anstehenden Veränderungen in der Arbeitswelt.
Aktuelle Studien des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigen, dass der Wunsch nach verkürzter Arbeitszeit, speziell bei Vollzeitbeschäftigten, seit Beginn der Coronapandemie gestiegen ist. Die Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) zeigen den Bedarf nach mehr Flexibilität und individuellen Arbeitsmodellen.
Es ist eine Auseinandersetzung um mehr als nur Arbeitszeit – es geht um die Zukunft der Arbeit und die Harmonie zwischen Beruf und Leben. Die Tarifrunden werden zeigen, in welche Richtung sich die Arbeitswelt entwickelt und wie der Wunsch nach Veränderung Gehör findet.