Einschüchterung per Post
Es ist ein Vorgehen, das man eher aus autoritären Regimen kennt als aus Washington: Die US-Botschaft in Paris verschickt Fragebögen mit Ultimaten an französische Unternehmen – sie sollen binnen fünf Tagen schriftlich bestätigen, keine Programme zur Förderung von Diversität, Gleichstellung und Inklusion zu betreiben.
Die Tonlage? Überraschend scharf. Die Botschaft kündigt an, bei Widerspruch die Angaben an ihre Rechtsabteilung weiterzuleiten.
Der Vorfall ist kein Einzelfall mehr. Laut Informationen der französischen Wirtschaftszeitung Les Echos haben bereits mehrere Dutzend Unternehmen Post erhalten – darunter Konzerne aus den Bereichen Energie, Pharma, Telekommunikation und Luxusindustrie. Auch internationale Großkanzleien sind betroffen.
Trumps Kulturkampf – jetzt als Exportprodukt
Seit seiner Rückkehr ins Amt führt Präsident Donald Trump einen entschlossenen Kampf gegen sogenannte „Wokeness“ – unter dem Vorwand, Leistung über Ideologie zu stellen.
In den USA wurde bereits kurz nach Amtsantritt ein entsprechendes Dekret unterzeichnet: „Ending Illegal Discrimination and Restoring Merit-Based Opportunity“.
Darin untersagt die Regierung jegliche DEI-Maßnahmen (Diversity, Equity, Inclusion) in öffentlichen Institutionen – und nun offenbar auch bei ausländischen Partnern.
Dass eine US-Botschaft europäische Unternehmen in dieser Direktheit auffordert, sich diesem Kurs zu unterwerfen, ist ein außenpolitischer Tabubruch. Der Druck zielt auf all jene Firmen, die mit US-Behörden zusammenarbeiten oder öffentliche Aufträge erhalten wollen. Die Botschaft macht klar: Auch nicht-amerikanische Unternehmen müssen sich dem Anti-Woke-Dekret beugen, wenn sie im US-Geschäft bleiben wollen.

Frankreich reagiert empört – aber verhalten
Aus dem Umfeld des französischen Finanz- und Wirtschaftsministers Éric Lombard ist zu hören, man wolle Washington unmissverständlich klarmachen, dass solche Praktiken „nicht den Werten Frankreichs“ entsprächen.
Offiziell bleiben Regierung und Arbeitgeberverbände jedoch zurückhaltend. Die Stimmung ist angespannt, offene Konfrontation will man in Paris offenbar vermeiden.
Doch hinter den Kulissen ist die Empörung groß. Ein Unternehmensvertreter wird in Les Echos zitiert: „Als ich von dem Schreiben hörte, hielt ich es zunächst für eine Fälschung.“ Ein anderer spricht sogar von einer „McCarthy-Ära auf globaler Ebene“. Der Vergleich ist drastisch – aber nicht unbegründet.
Handelshebel statt Diplomatie
Trump nutzt die wirtschaftliche Abhängigkeit europäischer Unternehmen vom US-Markt gezielt aus. Das Schreiben der Botschaft verweist explizit auf die Teilnahme an Ausschreibungen der US-Regierung. Die Botschaft: Wer sich nicht an das Dekret hält, verliert den Zugang zu öffentlichen Aufträgen.
Diese Logik ist nicht neu, wird aber jetzt systematisch auf eine ideologische Agenda übertragen. Der Kulturkampf, den Trump in den USA entfesselt hat, wird zur wirtschaftspolitischen Waffe auf internationaler Bühne.
Zwei Systeme im Clinch
Was in den USA als politischer Kurswechsel verkauft wird, ist in Europa klarer Rechtsbruch. Programme zur Förderung von Vielfalt und Chancengleichheit sind in vielen EU-Staaten nicht nur üblich, sondern gesetzlich verankert. Trumps Erlass steht damit im direkten Widerspruch zu europäischen Gleichstellungsnormen.
Viele international tätige Unternehmen fahren inzwischen eine Doppeltaktik: In den USA werden Begriffe wie LGBTQ, Diversity und Inclusion aus Geschäftsberichten und Karriereseiten gestrichen – in Europa bleiben sie bestehen.
Besonders Unternehmen wie McDonald’s oder Apple, die auf beiden Märkten präsent sind, haben ihre Kommunikation entsprechend aufgeteilt. Doch der Druck wächst, und damit das Risiko eines Spagats, der politisch nicht durchzuhalten ist.
Europa im Fadenkreuz
Der Vorstoß gegen französische Firmen ist Teil einer breiteren Strategie. Neben der ideologischen Komponente läuft ein handfester Handelskonflikt: Neue US-Zölle auf europäische Autos, Medikamente und Industriegüter sind bereits angekündigt oder in Vorbereitung. Trump spricht offen von einem „ungerechten System“, in dem Europa seit Jahren auf Kosten der USA profitiere.
In geleakten Nachrichten sprach Trumps Vizepräsident J.D. Vance gar davon, „die Europäer nicht länger retten zu wollen“. Die Tonlage ist konfrontativ, nicht nur wirtschaftlich, sondern zunehmend wertepolitisch. Und genau das macht die jüngsten Schritte so gefährlich: Hier geht es nicht mehr nur um Märkte – sondern um Weltbilder.
Was Unternehmen jetzt droht
Die Unsicherheit ist groß. Internationale Konzerne mit DEI-Initiativen stehen plötzlich im Zielkreuz amerikanischer Außenpolitik. Wer in Europa geltendes Recht befolgt, riskiert Sanktionen aus Washington. Wer sich dem Druck beugt, verliert an gesellschaftlicher Glaubwürdigkeit – und möglicherweise an Personal, das auf Werteorientierung achtet.
Das Dilemma ist real – und dürfte weit über Frankreich hinaus reichen. Dass ein US-Dekret zu internen Personalrichtlinien europäischer Unternehmen auf diesem Wege durchgesetzt werden soll, ist ohne Beispiel. Die Möglichkeit, dass ähnliche Schreiben bald auch in Berlin oder Rom auftauchen, ist nicht ausgeschlossen.
Ein Angriff, der Konsequenzen haben muss
Es ist ein Test für Europa: Wie souverän ist der Kontinent wirtschaftlich wirklich, wenn ein Partnerland über wirtschaftspolitische Hebel ideologische Vorgaben erzwingt? Die EU-Kommission schweigt bislang. Doch der Fall könnte schnell zur grundsätzlichen Debatte über transatlantische Wirtschaftsbeziehungen werden.
Die Trump-Regierung hat mit ihrer „Woke-Warnung“ mehr getan als nur ein paar Briefe verschickt. Sie hat eine neue Linie überschritten – und Europa ein Ultimatum gestellt, das über Vielfalt und Inklusion hinausreicht. Es geht um politische Selbstbestimmung in der Wirtschaft. Und es stellt sich die Frage: Wer bestimmt am Ende, wie europäische Unternehmen geführt werden – Paris, Brüssel oder Washington?
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