Die jüngsten Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu und andere führende Persönlichkeiten haben ein komplexes diplomatisches Gefüge offenbart. Während US-Präsident Joe Biden den Haftbefehl gegen Russlands Präsident Wladimir Putin für Kriegsverbrechen in der Ukraine als „gerechtfertigt“ betrachtete, lehnte das Weiße Haus den Beschluss im Fall Netanyahu entschieden ab. Dieser Gegensatz in der amerikanischen Haltung spiegelt sich auch im Lager von Donald Trump wider. Die Vereinigten Staaten sind dem IStGH nie beigetreten, überwiegend aus Sorge, dass amerikanische Soldaten verfolgt werden könnten. Dies führt bei vielen – insbesondere außerhalb westlicher Demokratien – zu der Wahrnehmung westlicher Doppelmoral, die den internationalen Rechtsrahmen weiter unterminieren könnte, den die USA selbst mit aufgebaut haben. Diese Entwicklung könnte sich durch eine erneute Trump-Administration, die einem „Amerika-zuerst“-Ansatz verpflichtet ist, noch zuspitzen. Der IStGH hat sich durch seine Entscheidung gegen Netanyahu, dessen ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant und den Hamas-Führer Mohammed Deif dem Vorwurf ausgesetzt, eine moralische Gleichwertigkeit zwischen beiden Seiten herzustellen. In Israel, das noch immer unter den Nachwirkungen der Hamas-Angriffe vom 7. Oktober 2023 leidet, führte dies zu seltener Einigkeit in der sonst politisch gespaltenen Nation. Gegner und Unterstützer Netanyahus verurteilten die Entscheidung als Angriff auf Israels Recht zur Selbstverteidigung. Die Reaktionen des IStGH haben das Potenzial, Keile in die westliche Allianz zu treiben. Während die USA die Entscheidungen verurteilen, plädieren einige europäische Länder für die Achtung des Gerichts. Trumps Verbündete haben angedeutet, die Sanktionen gegen den IStGH erneut zu verhängen, wie es bereits während seiner ersten Amtszeit geschah. Dabei könnte ein internationaler Rechtsrahmen, der auf Wille und Macht basiert, langfristig weder den Interessen der USA noch ihrer Verbündeten dienlich sein.