Die Berichtssaison in den USA beginnt mit einem bemerkenswerten Schweigen: Immer mehr börsennotierte Unternehmen verzichten auf konkrete Prognosen für das laufende Geschäftsjahr. Nicht aus strategischer Zurückhaltung, sondern aus Unsicherheit.
Der Grund: die erratische Zollpolitik von Präsident Trump, die Handelsströme binnen Tagen verändert – und betriebswirtschaftliche Planung zum Glücksspiel macht.
Delta sagt Glamour-Auftritt ab – und die Prognose gleich mit
Noch im Januar mietete Delta-Chef Ed Bastian für seine Investorenpräsentation die ikonische „Sphere“ in Las Vegas – samt Stargast Tom Brady. Jetzt, drei Monate später, ist davon nur Ernüchterung geblieben.
„Angesichts der wirtschaftlichen Unsicherheit im Welthandel ist das Wachstum weitgehend zum Stillstand gekommen“, so Bastian nüchtern bei der Vorlage der Quartalszahlen.
Eine Prognose für den Rest des Jahres? Fehlanzeige.
Damit steht Delta nicht allein. Ob Morgan Stanley, Levi Strauss oder Walmart – quer durch alle Branchen verzichten US-Konzerne derzeit auf präzise Ausblicke. Und selbst wenn Zahlen geliefert werden, sind die Spannweiten oft so weit gefasst, dass sie kaum belastbare Orientierung bieten. Das Betriebsergebnis von Walmart? „Nicht präzise vorhersehbar“, so Finanzchef John David Rainey.

Zölle als taktische Waffe – Unternehmen als Spielball
Auslöser dieser Zurückhaltung ist die zunehmend taktisch eingesetzte Zollpolitik der Trump-Administration. Anfang April erhob Washington Sonderabgaben auf fast alle Importe aus über 30 Ländern.
Eine Woche später wurden sie teilweise wieder ausgesetzt – mit Ausnahmen für China. Dort gelten inzwischen Zölle von 145 Prozent auf bestimmte Produktgruppen.
Diese rasanten Kurswechsel machen strategische Planung für international tätige Konzerne nahezu unmöglich. Levi's-Chefin Michelle Gass spricht von einer „beispiellosen Unbeständigkeit“.
Ihre Branche, stark abhängig von Produktionsstandorten in Asien, sei direkt betroffen. Entsprechend arbeitet man „an Szenarien zur Schadensbegrenzung“, nicht an Wachstumszielen.
Informationsvakuum – Analysten verlieren die Orientierung
Auch Analysten sehen sich zunehmend im Blindflug. Noch zu Jahresbeginn hatte der Finanzdienst Bloomberg mit einem Gewinnzuwachs von 11,8 % für den S&P 500 im zweiten Quartal gerechnet.
Inzwischen liegt der Wert nur noch bei 7,4 %. Ohne belastbare Guidance aus den Unternehmen werden präzise Bewertungen zur Spekulation.
„Das Schlüsselwort lautet vorsichtig“, sagt Greg Hertrich vom japanischen Finanzkonzern Nomura. Unternehmen würden bewusst inhaltsarme Formulierungen wählen, um sich Luft zu verschaffen.
Auch Apple und andere große Tech-Konzerne dürften sich in dieser Quartalssaison zurückhalten, vermutet Dan Ives von Wedbush.
Investoren verunsichert – Kapital bleibt geparkt
Die Auswirkungen sind längst an den Märkten spürbar. „Sie sind weit weniger bereit, Geld zu investieren, wenn sie nicht über die Informationen verfügen, die sie zu benötigen glauben“, warnt Michael Arone von State Street Global Advisors.
In einer Welt ohne Prognosen fehlen Anlegern die Entscheidungsgrundlagen – mit potenziell langfristigen Folgen für Bewertung und Kapitalallokation.
Die Rückkehr der Unsicherheit trifft dabei auf einen Markt, der ohnehin mit hoher Volatilität zu kämpfen hat: Nach Trumps Ankündigung neuer Importzölle im April kam es an den US-Anleihemärkten zu massiven Ausschlägen, die Rendite zehnjähriger Treasuries stieg binnen weniger Tage um fast 60 Basispunkte – ein historischer Sprung.
Wie lange hält die Wirtschaft das aus?
Ein Hoffnungsschimmer bleibt: Die von Trump initiierte „Zollpause“ soll 90 Tage dauern. Innerhalb dieser Frist, so Analyst Hertrich, müsse Klarheit herrschen – andernfalls drohe ein dauerhafter Schaden am Vertrauen in den Standort USA. Dass diese Frist reicht, bleibt offen. Zwar könnten Einigungen ebenso schnell kommen, wie sie derzeit aufgekündigt werden. Doch bislang gibt es keine Hinweise auf einen strukturierten Verhandlungsprozess.
Die Märkte haben sich längst auf das neue Risiko eingestellt: Politik. Genauer gesagt, auf die Unplanbarkeit wirtschaftlicher Rahmenbedingungen durch politische Willkür. Für Investoren ist das keine gute Nachricht – für Unternehmenslenker noch weniger.
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