Nach dem jüngsten Vorfall mit einer Boeing 737-9 Max in den USA verdichten sich die Hinweise auf ein weiterreichendes Problem bei den Flugzeugen des Herstellers. Nachdem bei einem Jet von Alaska Airlines am vergangenen Freitag während des Fluges ein Rumpfteil herausgebrochen war, wurden bei dieser Maschine sowie bei anderen Flugzeugen von United Airlines lose Befestigungsteile entdeckt. Die US-amerikanische Unfalluntersuchungsbehörde NTSB zieht daher in Betracht, die Überprüfungen auf weitere Varianten des Flugzeugtyps auszuweiten. Die Krise bei Boeing setzt sich somit fort, auch fünf Jahre nach den tödlichen Abstürzen zweier 737-Max-Jets.
Die NTSB-Vorsitzende Jennifer Homendy erklärte am Montagabend, dass zunächst geklärt werden müsse, was bei dem besagten Flugzeug genau passiert sei. Wenn sich herausstellen sollte, dass es ein größeres systemweites oder flottenweites Problem gebe, würde die NTSB eine dringliche Sicherheitsempfehlung aussprechen. Bisher hat die US-Luftfahrtbehörde FAA bereits 170 Exemplare der 737-9 Max aus dem Verkehr gezogen und Betreiber zu Inspektionen aufgefordert.
Bei dem herausgebrochenen Rumpfteil handelt es sich um einen Ersatz für eine nicht benötigte Flugzeugtür. Dieser Einsatz in der Kabinenwand hat sich laut den Ermittlern nach oben bewegt und mit einem lauten Knall gelöst. Bei anderen Maschinen von United Airlines wurden bereits lose Befestigungsteile an dieser Stelle gefunden. Die genaue Anzahl der betroffenen Jets ist noch unklar, doch die Fluggesellschaft spricht von "Installationsproblemen". Die vier Bolzen, die das Bauteil daran hinderten, sich vertikal zu bewegen, wurden bisher noch nicht sichergestellt. Das Rumpfteil wurde im Garten eines Lehrers in Portland, Oregon, gefunden und wird nun untersucht.
Die aktuellen Nachrichten haben auch Auswirkungen auf den Finanzmarkt gezeigt. Nach einem Verlust von rund acht Prozent am Montag ist der Kurs der Boeing-Aktie im vorbörslichen US-Handel am Dienstag um fast ein weiteres Prozent gesunken. Auch die Aktie des Rumpf-Zulieferers Spirit Aerosystems hat am Montag einen Verlust von elf Prozent verzeichnet. Hingegen erreichte die Aktie des europäischen Flugzeugbauers Airbus mit 144,80 Euro zeitweise ein Rekordhoch.
Die US-Fluggesellschaft United besitzt 79 Maschinen des betroffenen Typs, Alaska 65. Beide Airlines haben die von der FAA vorgeschriebenen Inspektionen noch nicht begonnen, da zunächst die erforderlichen Unterlagen formalisiert werden müssten. Dennoch haben die Airlines bereits begonnen, Sitzreihen zu entfernen und die Innenverkleidungen zu demontieren, um Zugang zum betroffenen Bereich des Flugzeugrumpfes zu erhalten.
Andere Fluggesellschaften wie Iceland Air aus Island und Lion Air aus Indonesien haben ebenfalls 737-9 Max in ihrer Flotte, jedoch ist bei ihren Maschinen auf jeder Seite zusätzlich ein Notausgang eingebaut. Dadurch dürfen die Jets mehr Passagiere befördern. Diese Variante ist bisher nicht von dem Startverbot und den Auflagen der FAA betroffen. Bei der kürzeren Version 737-8 Max fehlt diese Türöffnung.
Die europäische Luftfahrtaufsicht EASA hat bereits erklärt, dass in den von ihr überwachten Staaten keine Maschinen der fraglichen Ausführung betrieben werden. In Großbritannien sind überhaupt keine Boeing 737-9 Max registriert.
Indonesien hat trotzdem auf den Vorfall reagiert und ordnete an, dass die drei Boeing 737-9 Max von Lion Air vorerst am Boden bleiben müssen, obwohl diese Maschinen an der betroffenen Stelle über Notausgänge verfügen. Auch die türkische Fluggesellschaft Turkish Airlines lässt ihre fünf Maschinen der Reihe auf Anweisung der heimischen Aufsichtsbehörde untersuchen.
Lion Air hat bereits Erfahrungen mit der 737 Max gemacht. Im Herbst 2018 stürzte eine Maschine des Typs 737-8 Max ab, bei dem Unglück kamen alle Insassen ums Leben. Als eine der Ursachen wurde das Cockpit-Steuerungssystem MCAS von Boeing identifiziert, das den Jet in einen steilen Sinkflug brachte und schließlich zum Absturz führte. Nach einem ähnlichen Vorfall mit einer Maschine von Ethiopian Airlines im März 2019 verhängten Luftfahrtbehörden weltweit Startverbote für die 737 Max.
Die Wiederzulassung der Maschinen erfolgte erst nach 20 Monaten und nach einigen technischen Verbesserungen in den USA. In anderen Teilen der Welt, darunter in der EU, erfolgte die Wiederzulassung noch später. Die Krise hat Boeing bis heute Milliarden gekostet. Der Konzern hat seit dem Flug- und Auslieferungsverbot für die "Max" im Jahr 2019 die Position des weltweit größten Flugzeugherstellers an den europäischen Airbus-Konzern verloren und hinkt diesem bis heute hinterher.
Der CEO des großen Boeing-Kunden Ryanair, Michael O'Leary, drängte in einem Interview mit der "Financial Times" auf eine Verbesserung der Qualitätskontrollen bei Boeing. Im vergangenen Dezember hatte Boeing die Betreiber neuerer 737-Max-Jets angewiesen, die Steuerruder ihrer Maschinen auf lose Befestigungsteile zu überprüfen. Zuvor hatte der Hersteller die Auslieferung der 737 Max aufgrund von Produktionsfehlern von Spirit Aerosystems im vergangenen Jahr zwei Mal unterbrechen müssen.