Nach einem deutlichen Sieg bei der Präsidentenwahl in Argentinien hat der selbst ernannte "Anarchokapitalist" Javier Milei eine radikale Kehrtwende für das südamerikanische Land angekündigt. In seinem Wahlsieg sieht er den Beginn des Wiederaufbaus Argentiniens. Mit klaren Ansagen und ohne Platz für Kompromisse will er die strukturellen Probleme des Landes angehen, um die schlimmste Krise der argentinischen Geschichte abzuwenden.
Mit 55,69 Prozent der Stimmen setzte sich Milei bei der Stichwahl deutlich gegen den linken Wirtschaftsminister Sergio Massa mit 44,30 Prozent durch. Der Frust der argentinischen Bevölkerung über die lang anhaltende Krise und die Unzufriedenheit mit dem politischen Establishment dürften maßgeblich zum Wahlerfolg des Außenseiters beigetragen haben.
Milei plant einen radikalen Kurswechsel, um das Land aus der schweren Wirtschaftskrise zu führen. Dazu gehören unter anderem die Einführung des US-Dollars als gesetzliches Zahlungsmittel, die Abschaffung der Zentralbank und vieler Ministerien sowie Kürzungen bei den Sozialausgaben. Mit seiner extremen wirtschaftlichen Ausrichtung stellt Milei eine einzigartige Figur in der Präsidentschaft Südamerikas dar, da er die legitime Rolle der Regierung in wichtigen Politikbereichen kaum anerkennt.
Bereits am Tag nach seinem Wahlsieg kündigte Milei die Privatisierung von Staatsbetrieben an. So sollen unter anderem der staatliche Energiekonzern YPF, das öffentliche Fernsehen und Radio sowie die amtliche Nachrichtenagentur Télam privatisiert werden. Die ersten Reaktionen der Märkte waren positiv, da sie die Ankündigung einer aggressiven Haushaltskonsolidierung und die Abschaffung von Devisen- und Kapitalverkehrskontrollen begrüßten. Die Aktien argentinischer Unternehmen an der New Yorker Börse stiegen vorübergehend um 23 Prozent und Staatsanleihen um 6 Prozent.
Milei ist eine schillernde Persönlichkeit in der argentinischen Politik. Er plädiert für eine Liberalisierung des Waffenbesitzes, lehnt das Recht auf Abtreibung ab, bestreitet den menschengemachten Klimawandel und bezeichnet den argentinischen Papst Franziskus als Kommunisten. Obwohl er wie Donald Trump oder Jair Bolsonaro eine Anti-System-Rhetorik benutzt, unterscheidet sich Milei von seinen Vorbildern durch den Verzicht auf rechtsradikale Ausfälle und seine Befürwortung der gleichgeschlechtlichen Ehe.
Seine zukünftige Vizepräsidentin Victoria Villarruel bedient hingegen das konservative Klientel und unterhält Kontakte zu rechten Gruppierungen weltweit. Sie provoziert immer wieder mit Äußerungen über die Militärjunta (1976-1983). Dabei zweifelt sie die von Menschenrechtsorganisationen geschätzte Zahl von 30.000 Todesopfern während der Diktatur an und fordert eine stärkere Anerkennung der Opfer linker Guerillagruppen.
Argentinien befindet sich in einer tiefen Wirtschaftskrise. Die hohe Inflationsrate von über 140 Prozent sowie die hohe Armutsgrenze von rund 40 Prozent der Bevölkerung belasten das einst reiche Land. Die Ursachen liegen unter anderem in einem aufgeblähten Staatsapparat, geringer Produktivität der Industrie und einer großen Schattenwirtschaft, die dem Staat viele Steuereinnahmen entzieht. Die Landeswährung Peso verliert weiterhin an Wert, während der Schuldenberg kontinuierlich ansteigt.
Der internationale Parkett wird vorerst unsicher sein, da Milei international unerfahren ist. Im Wahlkampf kündigte er an, die Beziehungen zu den beiden wichtigsten Handelspartnern China und Brasilien aus ideologischen Gründen abzubrechen. Allerdings streckte China ihm daraufhin die Hand aus und signalisierte die Bereitschaft zur Wiederbelebung der Zusammenarbeit. Dennoch sieht Bundesagrarminister Cem Özdemir die Schwierigkeiten für das Handelsabkommen zwischen der EU und dem südamerikanischen Wirtschaftsbündnis Mercosur im Zusammenhang mit Mileis Wahlsieg. Er warnt davor, dass der Populismus "sowohl dort als auch bei uns" stärker werde.
Trotz seiner radikalen Rhetorik sind viele Beobachter der Meinung, dass Milei nicht in der Lage sein wird, seine Forderungen in vollem Umfang umzusetzen. Im Parlament hat er keine Mehrheit und sein Lager stellt keinen einzigen Provinzgouverneur. Zudem fehlt ihm qualifiziertes Personal, um wichtige Schlüsselpositionen zu besetzen. In letzter Zeit hat Milei bereits seinen Ton gemäßigt und Kontakte zu den traditionellen konservativen Kräften im Land geknüpft, um die entstandenen Lücken zu füllen.