29. Mai, 2025

Finanzen

Turbo-Risiko im Depot – Bafin greift durch

Fast drei Viertel der Privatanleger verlieren mit Turbo-Zertifikaten – im Schnitt 6.400 Euro pro Kopf. Jetzt zieht die Bafin die Reißleine. Was sich für Anleger, Anbieter und den Markt ändert.

Turbo-Risiko im Depot – Bafin greift durch
Fast 70 % aller Turbo-Zertifikate werden weniger als 24 Stunden gehalten – je mehr Trades ein Anleger tätigt, desto höher die Verlustwahrscheinlichkeit.

Drehen an der Verlustschraube

Wer glaubt, der Handel mit Turbo-Zertifikaten sei ein kalkulierbares Spiel mit der Kursbewegung, irrt – und das im großen Stil.

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) hat in einer umfassenden Marktstudie für die Jahre 2019 bis 2023 festgestellt: Drei von vier Privatanlegern verlieren beim Handel mit diesen hochspekulativen Hebelprodukten – und zwar im Schnitt 6.400 Euro pro Person. Der Gesamtschaden? 3,4 Milliarden Euro.

Die Konsequenz: Die Bafin verschärft die Regeln – deutlich, aber ohne das Instrument vollständig zu verbieten.

Kaufen, hoffen, verlieren

Der Grund für die massiven Verluste ist strukturell: Turbo-Zertifikate gehören zu den sogenannten Hebelprodukten. Sie erlauben es Anlegern, mit geringem Kapitaleinsatz überproportional auf Kursbewegungen zu wetten – nach oben wie nach unten. Was wie eine Einladung zum schnellen Geld klingt, ist in der Realität für viele Kleinanleger ein Türöffner ins Minus.

Laut Bafin werden rund 70 % der Produkte weniger als einen Tag gehalten. Je häufiger die Kunden handeln, desto schlechter fällt die Bilanz aus: Wer mehr als 1.000 Trades in einem Jahr tätigt, verliert mit einer Wahrscheinlichkeit von 91 % Geld. Ein toxisches Verhältnis aus kurzfristiger Spekulation, fehlendem Wissen und algorithmischem Overtrading.

Drei Maßnahmen – ein Signal

Mit drei neuen Regeln will die Bafin die Notbremse ziehen:

  1. Warnpflicht mit Klartext
    Anbieter müssen künftig deutlich sichtbare Risikohinweise geben – inklusive der statistischen Verlustwahrscheinlichkeit für Kleinanleger. Marketingfloskeln haben dort nichts mehr zu suchen.
  2. Wissenstest für Einsteiger und Fortgeschrittene
    Wer Turbos handeln will, muss einen Test mit mindestens sechs korrekt beantworteten Fragen bestehen – und das alle sechs Monate aufs Neue. Ein simpler Klick auf „verstanden“ genügt künftig nicht mehr.
  3. Verbot von Kaufanreizen
    Cashbacks, Bonusaktionen oder Rabatte beim Handel mit Turbos werden untersagt. Damit soll verhindert werden, dass Anreize zum übermäßigen Handeln führen – unabhängig von der individuellen Risikoeignung.

Kein Verbot – aber ein klarer Kurswechsel

Ein vollständiges Verbot der Produkte lehnt die Bafin ab. Der Grund: Es gäbe auch erfahrene Anleger, die Turbos gezielt einsetzen. Ein Pauschalverbot wäre unverhältnismäßig. Stattdessen setzt die Behörde auf Transparenz, Information und Regulierung durch Auflagen – und ruft betroffene Anbieter dazu auf, bis 3. Juli Stellung zu beziehen.

Das zeigt: Die Aufsicht will nicht alles verbieten – aber vieles verändern. Gerade in einem schrumpfenden Markt, der aktuell etwa 10 % unter dem Vorjahresniveau liegt, ist das ein sensibles Signal.

WirtschaftsWoche

Ein Markt in wenigen Händen

Der deutsche Zertifikatemarkt wird von wenigen dominiert: Fünf Anbieter halten rund drei Viertel des Geschäfts mit Turbo-Zertifikaten. Die Mehrheit von ihnen sind Töchter ausländischer Finanzkonzerne. Sparkassen und viele Genossenschaftsbanken bieten die Produkte bewusst nicht an – ein Umstand, der nun als weitsichtig erscheint.

Denn was als innovatives Derivat begann, ist heute vielfach ein Verlustmultiplikator – für Privatanleger, nicht für Anbieter. Letztere verdienen an jeder Order, egal wie sie ausgeht. Daran wird auch die neue Regulierung wenig ändern – wohl aber am Informationsstand und an der Einstiegshürde für potenzielle Käufer.

Die neue Grenze zwischen Rendite und Roulette

Mit den geplanten Maßnahmen positioniert sich die Bafin klarer als bislang: Der private Derivathandel darf nicht länger auf Einsteigerfreundlichkeit machen, wenn er statistisch in Verluste führt. Was die Aufsicht nicht ausspricht, aber signalisiert: Turbo-Zertifikate sind nichts für Hobby-Anleger – und das sollten sie auch nie gewesen sein.

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