Zurück aus der Versenkung – aber nie wirklich weg
Tumblr war nie ganz tot, aber für viele Jahre gehörte es zum digitalen Kellerfund: einst gefeiert, dann verlacht, zwischenzeitlich verramscht. Jetzt kommt es zurück – nicht als Mainstream-Netzwerk, sondern als Nische mit Seele.
50 % der aktiven Nutzer*innen gehören mittlerweile zur Gen Z, ebenso wie 60 % der Neuregistrierungen. Die Plattform ist damit kein Museum der Internetvergangenheit – sondern Teil der Gegenwart einer jungen Generation, die anders online sein will.
Die Motivation? Keine Reichweite, keine Likes, keine Algorithmen. Sondern Selbstinszenierung ohne Kalkül, Content ohne Optimierung, Identität ohne Echtheitszertifikat. Während auf TikTok jeder Clip monetarisiert wird, lädt Tumblr dazu ein, sich auszuprobieren – halbanonym, ohne Druck, ohne Ranking.
Warum Gen Z genug von Meta & Musk hat
Facebook wirkt wie ein Familienkaffeekränzchen, X wie ein digitaler Straßenkampf. Dazwischen hat sich eine neue Sehnsucht breitgemacht: nach einem Internet, das nicht nur durchgeplant, getrackt und durchverwertet ist.
Tumblr bietet diese Lücke. Keine Klarnamenspflicht, keine Echtzeitkommentare, keine FOMO-induzierende Story-Timeline.
Zoomer, die Tumblr heute neu entdecken, suchen kein perfektes Profil, sondern eine Projektionsfläche – für Kunst, Fandom, Ästhetik, queere Identität, Emo-Nostalgie.
Dass Pop-Ikonen wie Halsey oder Autor John Green zur Plattform zurückkehren, passt ins Bild: Wer früher dort war, versteht, warum Tumblr gerade jetzt wieder funktioniert.
Algorithmusfrei durch die Nacht
Während TikTok-For-You-Pages fremdbestimmt durchscrollen, setzt Tumblr auf klassische Bloglogik. Nutzer kuratieren sich ihre Welt selbst – mühsamer, aber kontrollierter.

Der Newsfeed ist kein Feed, sondern ein persönliches Archiv: GIFs, Zitate, Fan-Art, Filmstills. Es ist ein Internet wie aus einer anderen Zeit – mit Geduld, Kontext und Tiefe. Oder zumindest: ohne nervige Auto-Play-Werbung.
Dass Tumblr auch technisch aus der Zeit gefallen scheint – wenig Video, keine durchgestylten Oberflächen, kaum Echtzeitinteraktion – ist für viele kein Manko, sondern Argument. Ein digitaler Slow Space.
Monetarisierung? Bisher das große Tumblr-Paradoxon
Und hier beginnt das Dilemma: Tumblr ist beliebt, aber schwer zu monetarisieren. Die Anti-Werbe-Haltung ist Teil der Markenidentität, Influencer-Wirtschaft hat dort kaum Fuß gefasst.
Yahoo zahlte einst 1,1 Mrd. Dollar – und scheiterte spektakulär. Später ging Tumblr für drei Millionen an Automattic, den Eigentümer von WordPress. Aktuell wird zwar behutsam mit neuen Formaten wie Communities und Tumblr TV experimentiert – doch die Frage bleibt: Wie verdient man mit einer Plattform Geld, deren Reiz genau darin liegt, sich der Kommerzialisierung zu entziehen?
Werbung funktioniert nur bedingt, Creator Economy ist kaum vorhanden, Subscriptions treffen auf Misstrauen. Tumblr ist für Nutzer*innen ein Rückzugsort – und für Werbetreibende oft ein schwarzes Loch.
Die neue Nostalgie – digital, queer, bewusst verschwommen
Was sich auf Tumblr abbildet, ist mehr als ein Plattform-Comeback. Es ist Ausdruck eines generellen Stimmungswandels: Die soziale Internetkultur der Gen Z ist weniger laut, weniger dominant, weniger kapitalisiert – dafür persönlicher, ambivalenter, weicher.
Tumblr trifft diesen Ton. Es ist das Gegenteil der hochglanzpolierten Creator-Welt, in der Aufmerksamkeit das wichtigste Zahlungsmittel ist.
Der Rückgriff auf 2000er-Ästhetik, Digitalkameras, Klapphandys – all das ist Teil dieser Bewegung. Und Tumblr liefert die passende visuelle und emotionale Kulisse: Es ist langsamer, unübersichtlicher, aber dafür echter. Und es erlaubt Fehler – in einer Zeit, in der Plattformen oft gnadenlos dokumentieren, was man später bereut.
Von der Plattform zur Gegenkultur
Was TikTok mit Trends schafft, baut Tumblr mit Gemeinschaften: Nischen, die sich nicht um Reichweite scheren, sondern um Verbindung. Fandoms, die nicht monetarisiert werden, sondern Ausdruck sind. Queere Identitäten, die sich ohne Erklärungsdruck entfalten. Tumblr-Nutzer:innen sprechen nicht von "Followers", sondern von "Mutuals".
In einer Social-Media-Welt, die zunehmend in Werbung, Shitstorms und Algorithmendruck zerfasert, wirkt Tumblr wie ein analoger Zufluchtsort in digitaler Form – bewusst vage, bewusst leise.
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