Der Gedanke an Donald Trump im Weißen Haus ruft bei vielen in Brüssel eher düstere Erinnerungen wach: Handelskriege, harsche Kritik und der Vorwurf, die EU sei ein „Höllenloch“.
Doch hinter verschlossenen Türen lassen sich immer mehr Spitzenbeamte von einer kontroversen Idee überzeugen: Ein Wahlsieg des Republikaners könnte genau der Impuls sein, den die EU braucht, um ihren Kurs zu ändern.
„Trump würde der EU die bittere Medizin verabreichen, die sie zur Stärkung ihrer Einigkeit benötigt“, erklärt ein EU-Diplomat.
Es geht hier nicht um Sympathien für den ehemaligen Präsidenten oder seine Ansichten – vielmehr sieht ein Teil der europäischen Elite Trumps drohenden Druck als potenziellen Katalysator für politische und wirtschaftliche Reformen, die bisher festgefahren sind.
Laut Informationen von „Politico“ hoffen einige EU-Beamte auf den „Schock“, den Trumps erneute Wahl auslösen könnte, um die Union in Bewegung zu versetzen.
Verteidigung und Sicherheitsfragen als Schlüsselfaktoren
Besonders im Bereich Verteidigung und Sicherheitsausgaben könnte ein zweiter Trump die EU zum Handeln zwingen. Trumps wiederholte Kritik an der Lastenverteilung innerhalb der NATO ist noch frisch in Erinnerung.
Seine Position, dass Europa mehr Verantwortung für seine Sicherheit übernehmen müsse, könnte nun den zögernden Mitgliedsstaaten verdeutlichen, dass die Abhängigkeit von den USA langfristig keine Option ist.
„Wir brauchen einen Schock“, sagt ein hochrangiger EU-Beamter. „Trump trägt zur Sensibilisierung für Rüstungsausgaben bei, aber eine zweite Amtszeit könnte die Debatte entscheidend voranbringen.“
Sollte Trump die Wahl gewinnen, könnten EU-Mitglieder gezwungen sein, ihre Verteidigungsausgaben deutlich zu erhöhen und sich beim Thema Ukraine-Politik zu positionieren.
Trump hat offen erklärt, dass er den Krieg in der Ukraine nach einer Wiederwahl sofort beenden wolle – und zwar unter Bedingungen, die für Kiew alles andere als ideal sein könnten.
Zaghafte Fortschritte in der EU-Finanzpolitik
Trump als Katalysator? Was wie ein Paradoxon klingt, könnte für die EU in der Finanzpolitik neue Dynamik entfalten. Trotz langjähriger Debatten sind gemeinsame EU-Kreditprogramme oder Eurobonds umstritten.
Doch angesichts einer möglichen Trump-Rückkehr argumentieren Befürworter, dass ein einheitlicher Finanzierungsansatz in der EU dringend nötig sei.
Besonders in der Verteidigungsfinanzierung könnte der bisherige Widerstand „sparsamer“ Staaten wie Deutschland oder der Niederlande aufgebrochen werden, falls Trump seinen Druck erhöht.
„Ein Wahlsieg Trumps könnte die Gemeinschaft nötigen, gemeinsam Geld zu leihen und die Verteidigung zu finanzieren“, heißt es aus Kreisen der Eurobond-Befürworter. Ohne den Druck von außen blieben diese Initiativen vermutlich im bisherigen Stillstand.
Handelsfragen und Marktharmonisierung
Auch im Handel könnte eine Rückkehr Trumps neue Entwicklungen für die EU bringen. Während seiner ersten Amtszeit eskalierte Trump den transatlantischen Streit über Stahl- und Aluminiumzölle, doch diesmal bereitet sich Brüssel vor.
Die EU hat bereits vorsorglich Vergeltungszölle bis März 2025 ausgesetzt – ein strategisches Manöver, das der Union ermöglicht, die Reaktionen je nach Ausgang der US-Wahl anzupassen.
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Darüber hinaus sehen einige in Brüssel Trumps hartes Vorgehen als möglichen Katalysator für lang ersehnte Reformen des europäischen Binnenmarktes. Seit Jahren werden Vorschläge zur Harmonisierung und Stärkung der europäischen Wirtschaft diskutiert, doch Fortschritte bleiben überschaubar.
Ein Druck von außen könnte laut Experten das nötige Momentum liefern, um den europäischen Binnenmarkt zu festigen und EU-weite Standards im Finanzsektor zu etablieren.
EU gegen China: Schärferer Kurs erwartet
Die geopolitischen Spannungen rund um China könnten ebenfalls auf eine zweite Trump-Amtszeit abfärben. Unter Präsident Joe Biden zeigte sich Washington versöhnlicher gegenüber der EU, und Außenminister Antony Blinken erklärte, Europa müsse sich nicht zwischen den USA und China entscheiden. Doch Trump könnte diesen Balanceakt auflösen und Europa erneut in Richtung einer Konfrontation drängen.
Unter seiner ersten Amtszeit setzte der Druck aus den USA Länder wie Deutschland dazu, ihre Abhängigkeit von Huawei zu überdenken. Vor allem die deutschen Bedenken, dass ein zu harter Umgang mit Peking negative Auswirkungen auf die Automobilindustrie haben könnte, verhinderten jedoch lange einen harten Kurs.
Mit einer Trump-Administration würde sich dieser Druck voraussichtlich verstärken – was einigen EU-Politikern durchaus entgegenkommt. „Trump könnte uns zu einem konsequenten Kurs gegen China nötigen,“ so ein Brüsseler Beamter.
Die Wahl rückt näher – und die EU bleibt wachsam
Bis zur US-Wahl im November bleibt alles Spekulation. Offen aussprechen werden EU-Beamte ihre Haltung wohl kaum, denn ein öffentlicher Schulterschluss mit Trump wäre politisch unklug.
Doch hinter verschlossenen Türen ist die Überzeugung klar: Trumps Wiederwahl könnte die Union zu einer dringend benötigten Einheit zwingen, in der Sicherheitspolitik, in wirtschaftlichen Reformen und in ihrer Haltung gegenüber China.