Während die Begeisterung für künstliche Intelligenz den Aktienmarkt erfasst, bleibt ein Bereich der Tech-Welt bemerkenswert unberührt: die Cloud-Software-Industrie. Sollte generative KI tatsächlich die nächste große Verkaufschance für die Technologiebranche darstellen, müssten Softwareunternehmen eigentlich zu den größten Gewinnern zählen. Schließlich wird die meiste KI wahrscheinlich als erweiterte Funktionen in den Geschäftsanwendungen auftauchen, die Firmen täglich nutzen.
Paradoxerweise verzeichnet der BVP Nasdaq-Index für Cloud-Softwareunternehmen in diesem Jahr einen Rückgang von fast zehn Prozent, während der Nasdaq Composite um mehr als 20 Prozent gestiegen ist. Dieser Einbruch, der bereits die Hälfte seines pandemischen Hochs verloren hat, deutet auf eine Branche hin, die an einem Wendepunkt steht. Ein langanhaltender Wachstumsschub, angetrieben durch den Aufstieg der Cloud, scheint in eine neue, reifere Phase einzutreten, während die nächste – die Verbreitung generativer KI im Geschäftsumfeld – gerade erst beginnt.
Wall Street steht vor komplexen Fragen. Sollte das Cloud-Geschäft tatsächlich ausgereift sein, müsste der Fokus der Investoren schneller von Wachstum auf Wert verschoben werden. Unternehmen wie Salesforce, MongoDB und Workday, die kürzlich enttäuschende Ergebnisse meldeten, führten das auf die anhaltende wirtschaftliche Schwäche zurück. Doch je länger diese Phase andauert, desto schwieriger wird es, dieses Argument aufrechtzuerhalten. Salesforce beispielsweise verdoppelte seine Umsätze in den letzten vier Jahren auf 36 Milliarden US-Dollar. Bei dieser Größenordnung wirkt das für das nächste Jahr prognostizierte langsamere Wachstum von zehn Prozent fast wie die neue Norm.
Gleichzeitig müssen Investoren abschätzen, welche Firmen die nächste Wachstumswelle einfangen können und welche scheitern und zurückgelassen werden. Laut den Unternehmen selbst ist der fehlende Verkaufseffekt durch KI lediglich eine Frage des Timings. Salesforce-Chef Marc Benioff hebt die Herausforderung hervor, große Verkaufsteams auf den „härteren, komplexeren Verkauf“ zu schulen. Kunden kämpfen mit vielen Fragen, um die neuen KI-Modelle zu verstehen und ihre Arbeitsprozesse entsprechend zu gestalten.
Obwohl die Verkaufszahlen noch gering sind, berichten Softwareunternehmen über enormes Interesse von Kunden, die neue KI-Services ausprobieren möchten. Dies könnte bedeuten, dass die KI-Dividende nur verzögert eintritt.
Dennoch deuten die disruptiven Bedrohungen durch KI darauf hin, dass der Weg nicht so einfach sein wird. Eine der Herausforderungen ist das Geschäftsmodell der Cloud-Unternehmen, das oft auf Abonnements pro Nutzer basiert. Wenn generative KI tatsächlich die Produktivität der Mitarbeiter erheblich steigert, könnten Kunden mit weniger Personal auskommen.
Die Folge ist eine Abkehr hin zu nutzungsabhängiger Preisgestaltung. Dies hätte den Vorteil, einige der höheren Kosten für die Bereitstellung generativer KI auszugleichen. Doch falls dies nicht zu nachweisbaren Geschäftsvorteilen führt, könnten die Softwareunternehmen eine Gegenreaktion erleben, wenn die Kunden ihre Rechnungen ansteigen sehen.
Auch die Technologiegeschichte spielt dabei eine Rolle. Frühere Tech-Ären, wie der Aufstieg des Client-Server-Computings in den 1990er Jahren und der Cloud-Computing-Boom im darauffolgenden Jahrzehnt, brachten neue Wellen von Start-up-Softwarefirmen hervor. Diese neuen Unternehmen, deren Produkte und Geschäftsmodelle von Grund auf für ein neues Rechenparadigma entwickelt wurden, starten mit großen Vorteilen.
Die erste Welle dieser „AI-native“ Softwarefirmen scheint oft nur als „Verpackung“ rund um die großen Sprachmodelle zu agieren und stellt nur eine Oberflächenanpassung dar, die branchenspezifische Expertise hinzufügt. Doch sie arbeiten hart daran, einen festen Stand zu gewinnen, von dem aus sie überzeugendere Dienstleistungen aufbauen können.
Laut Benioff werden etablierte Unternehmen schwer zu verdrängen sein. Unternehmen wie seines haben sich als Bewahrer der wichtigsten Daten ihrer Kunden etabliert, was ihnen einen großen Vorteil bei der Schulung der KI-Modelle verschafft, die für Unternehmen wirklich nützlich sein werden.
Das wird jedoch nur dann von Bedeutung sein, wenn die heutigen Cloud-Unternehmen ihre Produkte und Prozesse schnell genug an die neue Technologie anpassen können. Derzeit zeigt sich die Wall Street jedoch noch abwartend.