Die Diskussion um die künftige Energieversorgung Taiwans erreicht eine neue Dimension. Premierminister Cho Jung-tai erklärte kürzlich in einem Interview mit Bloomberg News, dass Taiwan offen für den Einsatz neuer Nukleartechnologien sei, um das steigende Bedürfnis nach Energie zu decken. Diese Bemerkung stellt den wohl stärksten Hinweis darauf dar, dass die Regierung möglicherweise bereit ist, ihre bisherige Haltung zu Atomenergie zu überdenken.
Cho betonte zudem, dass er den staatlich unterstützten Energieversorger anweisen werde, das Personal aus den stillgelegten Reaktoren des Archipels in ihren Positionen zu behalten. Während die Signale vielversprechend klingen, fehlen bisher konkrete Maßnahmen zur Umsetzung dieser Überlegungen.
Derzeit macht Atomkraft weniger als 3% der täglichen Energieproduktion Taiwans aus, während Flüssiggas und Kohle – beide über den Seeweg importiert – über die Hälfte des Bedarfs decken. Dies markiert einen Rückgang von etwa 5% zu Beginn des Jahres, bevor der Reaktor Nummer 1 im Maanshan-Kernkraftwerk im Juli geschlossen wurde. Im internationalen Vergleich bewegen sich andere Länder bereits in Richtung einer verstärkten Nutzung von Atomkraft.
Technologiekonzerne wie Microsoft haben kürzlich Schritte unternommen, die auf diesen Trend hinweisen. Ein Vertrag mit Constellation Energy über die Wiederinbetriebnahme eines Reaktors in der stillgelegten Three Mile Island-Anlage in Pennsylvania soll Microsofts Expansionsziele im Bereich künstlicher Intelligenz unterstützen. Gleichzeitig haben Länder wie die Philippinen und Südkorea, sowie China, die kürzlich elf neue Reaktoren genehmigt haben, Maßnahmen ergriffen, um ihre Atomkapazitäten zu erweitern.
Die geopolitischen Spannungen im Taiwan-Konflikt fügen der Debatte um die Energieversorgung eine weitere Ebene hinzu. Jüngste Militärübungen der chinesischen Volksbefreiungsarmee verstärkten das Bewusstsein für Taiwans Abhängigkeit von Energieimporten und die damit verbundenen Risiken. Taiwan besitzt derzeit etwa zehntägige Reserven an Erdgas.
Um diese Herausforderungen zu bewältigen, setzt Taiwan auch auf alternative Energiequellen wie Geothermie, obwohl der Beitrag dieser momentan nur einen Bruchteil des Energiebedarfs abdeckt. Mit der schrittweisen Abschaltung der Atomkraft soll die Energieerzeugung aus Gas und erneuerbaren Quellen erhöht werden.
Doch der Ausbau der erneuerbaren Energien verläuft schleppend, was zu einem erhöhten Import teurer fossiler Brennstoffe geführt hat. Dies könnte zukünftig die Strompreise für Haushalte und Unternehmen in die Höhe treiben, während die Energiebehörde einen Anstieg des Stromverbrauchs durch das aufstrebende KI-Segment bis 2030 erwartet.
Premier Cho ist der Ansicht, dass eine ausreichende Energieversorgung für die Industrie bis 2030 sichergestellt ist und regte eine öffentliche Diskussion über die verbleibenden Kernkraftwerke an. Dennoch bleibt die Debatte über die Zukunft der Atomenergie in Taiwan polarisiert, während der Druck auf die Regierung bei verschärften Spannungen mit China steigen könnte.
Letztlich bleibt Taiwan in Bezug auf eine sichere und zuverlässige Energieversorgung herausgefordert. Fachleute warnen vor den Konsequenzen eines vorschnellen Atomausstiegs, insbesondere angesichts des zunehmenden Strombedarfs der High-Tech-Industrie der Insel.