Der Fall des Assad-Regimes hat einen historischen Moment in Syrien eingeläutet und weckt beim Volk den Traum einer friedlichen Machtübergabe. Doch so eindeutig wie das laute Jubeln auf den Straßen ist die Zukunft des Landes nicht. Nach dem raschen Rückzug von Bashar al-Assad, der Zuflucht in Moskau fand, wird nun das Geschick Syriens maßgeblich von den Beziehungen innerhalb der vielschichtigen Opposition abhängen. Können sie gemeinsam eine pluralistische, föderale Regierung bilden oder droht ein neues inneres Chaos?
Bisher zeigen sich erste positive Signale. Die Rebellengruppen, allen voran Hayat Tahrir al-Sham, betonen ihre Entschlossenheit, die Fehler anderer gescheiterter Umstürze, wie in Irak und Libyen, nicht zu wiederholen. Anstatt internationaler Einmischung, liegt die Verantwortung der Übergangsphase diesmal in syrischer Hand. Die Entscheidung, die Polizei und Verwaltung in ihren Ämtern zu belassen und schnell einen Katalog von Maßnahmen zu erlassen, wie die nächtliche Ausgangssperre, zeigt, dass der Wille zur Stabilität stark ist – trotz Berichten von vereinzelten Plünderungen.
Jedoch birgt die fragmentierte Lage Syriens neue Herausforderungen. Die noch bestehenden vier Fraktionen – sunnitische Rebellen im Nordwesten, Kurden im Norden und Osten, jordanisch unterstützte Gruppen im Süden und alawitische Loyalisten im Westen – haben alle eigene Interessen, gebunden an neu erlangte Ressourcen und Waffen. Die jüngsten bewaffneten Auseinandersetzungen, etwa um Stellungen nahe Manbij, lassen auf flüchtige Einigkeiten schließen. Auch die internationale Arena ist kein stiller Zuschauer: Ehemalige Unterstützer wie Russland und Iran reduzieren zwar ihren Einfluss, aber andere Akteure, insbesondere die Türkei und Katar, bleiben involviert.
Ein herausragender Gegner könnte Abu Muhammad al-Jolani werden, der sich als potenzieller starker Mann an der Spitze der neuen Regierung sieht. Seine Vergangenheit als Anführer einer al-Qaida-Ablegertruppe ruft jedoch bei vielen Misstrauen hervor. Verbindungen zu terroristischen Kreisen und seine autoritäre Vorherrschaftsstreben stellen ein Risiko für die fragile Friedenshoffnung dar.
Zusätzliche Spannung schaffen die jüngsten israelischen Angriffe und die gespannten Beziehungen zu Nachbarländern. Auch wenn die Kurdengemeinschaft im Norden bereits ihren autonomen Status verteidigt, ist ein von allen akzeptiertes Regierungsmodell noch nicht in Sicht. Trotz der Erschöpfung und den Wünschen der syrischen Bevölkerung für einen Neubeginn, ist der Weg zu einer stabilen und inklusive Regierung noch ein weiter.