Steigende Steuern werden häufig als Grund angeführt, warum die Superreichen ihre Koffer packen und das Land verlassen. Ein aktueller Bericht von Henley & Partners erwartet, dass alleine im Jahr 2024 weltweit rund 128.000 Millionäre ihren Wohnsitz verlegen werden – eine neue Rekordmarke nach den 120.000 des Vorjahres. Besonders im Vereinigten Königreich scheint diese Debatte aktuell zu sein, seit die Labour-Partei, nach 14 Jahren konservativer Regierung, im Juli an die Macht kam. Hier befürchtet man eine Nettomigration von 9.500 Millionären, mehr als doppelt so viel wie die 4.200 des Vorjahres.
Doch stimmen diese Prognosen mit der Realität überein? Studien der London School of Economics (LSE) zeigen ein anderes Bild. Die Forscher fanden heraus, dass die Reichen selten alleine wegen Steuererhöhungen ihre Heimat verlassen. Basierend auf Interviews mit 35 Superreichen, argumentiert die LSE, dass sogenannte Steueroasen oft nicht attraktiv genug sind, um den Lebensstandard in Metropolen wie New York, London oder Tokio zu ersetzen.
Ein Interviewpartner der LSE brachte es auf den Punkt: „Sonne, Meer und Sand sind schön für ein paar Wochen, aber irgendwann möchte man auch mal eine Oper sehen. In den Bahamas gibt es keine Theater.“ Ein anderer bekräftigte: „Wer will schon in einer Steueroase leben? Ich bevorzuge ein lebendiges wirtschaftliches Umfeld mit Raum für Innovation.“
John Caudwell, britischer Milliardär und Gründer von Phones 4U, betont ebenfalls, dass moderate Steuererhöhungen ihn nicht dazu bewegen würden, das Land zu verlassen. Nur extreme und ungerechtfertigte Veränderungen könnten ihn zu einem solchen Schritt veranlassen. Ähnlich äußerte sich Peter Ferrigno von Henley & Partners: Ein Umzug hänge selten nur von Steuerfragen ab, sondern sei oft der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringe.
Auch in Kanada beobachten Experten, dass neben Steuererhöhungen auch politische Unzufriedenheit, hier vor allem mit Premierminister Justin Trudeau, die Entscheidung zur Emigration beeinflusse.
Das Thema „Gute PR“ auf Steuerflucht wird von einem Vermögensmanager angesprochen, der anonym bleiben möchte. Er stellt klar, dass die Drohung der Reichen, das Land zu verlassen, oft als Warnschuss an die Regierung verstanden werden sollte.
LSE-Autor Andy Summers zieht folgende Schlussfolgerung: Die in den Medien verbreiteten Meinungen der Reichen repräsentieren oft nur eine lautstarke Minderheit. Diese Berichte erscheinen häufig im politischen Kontext geplanter Steuererhöhungen und tragen dazu bei, eine verzerrte Wahrnehmung zu schaffen.
Caudwell betont abschließend: „Die reiche Elite wird oft zu Unrecht dämonisiert. Dennoch ist es wichtig, dass die neue Labour-Regierung einen kooperativen Ansatz sucht, um das wirtschaftliche Wachstum zu fördern.“