Ein globaler Milliardenmarkt in Bewegung
Die Kernfusion gilt als der heilige Gral der Energiebranche: emissionsfrei, unerschöpflich und sicherer als jede bisherige Form der Kernkraft. Weltweit wächst das Investitionsvolumen rapide – allein zwischen 2021 und 2024 um 300 Prozent.
Konzerne wie Amazon, Alphabet oder Shell setzen auf die Technologie, ebenso wie milliardenschwere Tech-Unternehmer. Auch in Deutschland formiert sich eine neue Generation von Fusionsunternehmen, die sich Hoffnungen auf den großen Durchbruch machen.
Deutsche Start-ups mischen mit
Von den weltweit rund 45 Fusionsunternehmen haben vier ihren Sitz in Deutschland: Proxima, Marvel Fusion, Gauss Fusion und Focused Energy. Sie sind mit völlig unterschiedlichen Ansätzen unterwegs – von magnetischer Einschlussfusion bis hin zu laserbasierten Verfahren.
Marvel Fusion etwa arbeitet eng mit Siemens Energy an einem ersten Kraftwerkskonzept, während Focused Energy sein Pilotkraftwerk am ehemaligen Atomstandort Biblis plant.
"Jeder in Deutschland hat mittlerweile verstanden, dass wir Fusion brauchen. Auch die Politik", sagt Proxima-Fusion-Chef Francisco Sciortino.
Sein Unternehmen hat kürzlich eines der ersten Bau- und Betriebskonzepte für eine kommerzielle Fusionsanlage veröffentlicht.
Politische Unterstützung wächst
Die kommende Bundesregierung setzt auf Kernfusion als strategische Zukunftstechnologie. Bereits im Wahlkampf kündigte CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz an, dass Deutschland zwei große Fusionsreaktoren errichten soll. Im Sondierungspapier mit der SPD heißt es nun konkret: "Der erste Fusionsreaktor der Welt soll in Deutschland stehen."

Die Union fordert nun milliardenschwere Förderprogramme. CDU-Forschungspolitiker Thomas Jarzombek warnt: "Wenn Deutschland jetzt nicht handelt, riskieren wir, dass eine Schlüsseltechnologie an uns vorbeizieht und wir erneut von ausländischer Energieversorgung abhängig werden."
Technische Herausforderungen bleiben
Trotz aller Euphorie bleibt der technische Durchbruch ungewiss. Noch hat kein Unternehmen bewiesen, dass eine Fusionsanlage mehr Energie erzeugen kann, als sie verbraucht. Auch die teuerste und technologisch ausgereifteste Forschungsanlage – der französische ITER-Reaktor – wird frühestens 2035 erste Ergebnisse liefern.
Deutsche Start-ups setzen darauf, diese Hürde schneller zu überwinden. Marvel Fusion etwa entwickelt in den USA einen Hochleistungslaser für die Fusionstechnik. "Wir bauen unsere ersten beiden Laser für eine Testanlage – Ende 2026 soll die erste Demonstration erfolgen", sagt Marvel-Chefin Heike Freund.
Europas neuer Weltrekord
Während Deutschland noch plant, melden Forscher in Frankreich bereits Fortschritte. In der WEST-Anlage in Cadarache gelang es, das Fusionsplasma 1.337 Sekunden stabil zu halten – ein neuer Weltrekord. Damit übertrafen sie sogar die bisherigen Bestwerte aus China. Doch die entscheidende Frage bleibt: Wann kann Kernfusion tatsächlich Strom liefern?
Risiko oder Jahrhundertchance?
Für Investoren und Politik bleibt Kernfusion ein Wagnis – mit ungewissem Zeithorizont. Kritiker bemängeln, dass vor 2050 keine marktreife Fusionsenergie zu erwarten sei. Die Bundesregierung steht nun vor einer Grundsatzentscheidung: Soll Deutschland Milliarden in eine Technologie stecken, deren wirtschaftliche Machbarkeit noch unklar ist? Oder riskiert man, in einem der größten Zukunftsmärkte ins Hintertreffen zu geraten?
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