Die Sozialversicherungen stehen vor einer Zerreißprobe: Schon heute steigen die Beitragssätze auf Rekordniveau – und ohne drastische Reformen droht eine massive Belastung für Arbeitnehmer und Unternehmen.
Wirtschaftsverbände warnen, dass Deutschland auf eine Abgabenquote von 50 Prozent zusteuert. CDU-Chef Friedrich Merz hatte Korrekturen angekündigt – doch die Angst wächst, dass er sich erneut dem Koalitionspartner beugt.
Die Arbeitgeberverbände und führende Ökonomen schlagen Alarm: Wenn die Politik nicht schnell handelt, wird der Sozialstaat zur größten finanziellen Bedrohung für den deutschen Arbeitsmarkt. Bereits heute zahlen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam 42 Prozent ihres Lohns in die Sozialkassen.
Doch das ist nur der Anfang: Die Berechnungen des Wirtschaftsweisen Martin Werding zeigen, dass bis 2040 eine Steigerung auf knapp 50 Prozent bevorsteht – ein Szenario, das den Wirtschaftsstandort Deutschland nachhaltig schwächen könnte.
„Diese Entwicklung birgt nicht nur enormen sozialen Sprengstoff, sondern wird auch gewaltigen wirtschaftlichen Schaden anrichten“, warnt Werding.
Die Folgen wären gravierend: Unternehmen würden noch stärker belastet, der Anreiz zu arbeiten sinkt, und die Finanzierbarkeit des Sozialstaats gerät endgültig ins Wanken.
Rekordbeiträge und wachsendes Finanzloch
Haupttreiber dieser Entwicklung sind die explodierenden Kosten der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. In den kommenden Jahren geht die geburtenstarke Babyboomer-Generation in Rente, was die Sozialsysteme extrem unter Druck setzt.
Besonders dramatisch sieht es in der Pflege aus: Seit 2014 haben sich die Ausgaben verdoppelt, und der mehrfach erhöhte Beitragssatz reicht trotzdem nicht aus. Statt Kostendisziplin zu wahren, haben die vergangenen Regierungen die Leistungen kontinuierlich ausgeweitet und neue Anspruchsberechtigte hinzugefügt.

Führende Ökonomen fordern deshalb eine radikale Kurskorrektur. Werdings Expertenkommission hat konkrete Vorschläge erarbeitet: Die „Rente mit 63“ müsse abgeschafft werden, um das Renteneintrittsalter schrittweise an die steigende Lebenserwartung anzupassen.
Zudem seien höhere Abschläge bei einem vorzeitigen Renteneintritt erforderlich. Ein weiteres Element: Die Einführung einer verpflichtenden kapitalgedeckten Vorsorge, die langfristig das Umlageverfahren entlasten könnte.
Merz und das 40-Prozent-Versprechen – eine Illusion?
Friedrich Merz hatte im Wahlkampf noch versprochen, den Beitragssatz langfristig wieder Richtung 40 Prozent zu senken. Doch nach seiner überraschenden Kehrtwende in der Schuldenpolitik für Verteidigung und Infrastruktur wächst die Sorge, dass er auch in der Sozialpolitik einknickt.
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger fordert daher eine klare Verpflichtung im Koalitionsvertrag: „Ohne eine Begrenzung der Sozialbeiträge wird es keinen nachhaltigen Aufschwung geben.“
Doch die SPD verfolgt eine völlig andere Agenda: Sie will die Rentenbeiträge nicht deckeln, sondern sogar Mehrausgaben finanzieren – unter anderem durch die Abschaffung des Nachhaltigkeitsfaktors, der bisher eine faire Lastenverteilung zwischen Jung und Alt sicherstellte. Das würde die demografischen Kosten fast vollständig auf die junge Generation abwälzen.
Verfassungsrechtler warnen: Der Sozialstaat droht zu kippen
Dass Deutschland in eine gefährliche finanzielle Schieflage geraten könnte, bestätigt auch der renommierte Finanzrechtler Gregor Kirchhof. Er argumentiert, dass die Politik verpflichtet sei, Reformen einzuleiten, um den Sozialstaat langfristig zu sichern. Andernfalls könnte das Bundesverfassungsgericht eingeschaltet werden.
Bereits 2021 hatte das höchste deutsche Gericht geurteilt, dass die Klimapolitik so gestaltet werden müsse, dass die junge Generation nicht unverhältnismäßig belastet wird. Kirchhof sieht hierin eine Parallele zur Renten- und Sozialpolitik: „Die Politik weiß das – und ihre Angst vor Karlsruhe ist groß.“
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Das versteckte Schuldenproblem: Sozialkassen als Zeitbombe
Offiziell beträgt Deutschlands Staatsverschuldung rund 2,5 Billionen Euro – doch das ist nur die halbe Wahrheit.
Die in den Renten-, Pflege- und Krankenversicherungen versteckten, nicht ausgewiesenen Schulden sind laut Wissenschaftlichem Dienst des Bundestags noch dramatischer: Sie belaufen sich auf bis zu 7,5 Billionen Euro.
Diese sogenannten „impliziten Schulden“ resultieren aus den Ansprüchen der heutigen und künftigen Rentner und belasten den Bundeshaushalt auf Jahrzehnte hinaus.
Das bedeutet: Ohne Reformen wird der Beitragssatz weiter steigen, der steuerfinanzierte Bundeszuschuss in die Sozialkassen müsste sich verdoppeln – auf über 200 Milliarden Euro jährlich. Gleichzeitig steigen die staatlichen Ausgaben für Verteidigung, Infrastruktur und Klimaschutz. „Die Finanzkraft des Staatshaushalts reicht daher ersichtlich nicht, um die Systeme in ihrer heutigen Form zu erhalten“, so das Fazit von Kirchhofs Gutachten.