27. Januar, 2025

Startups & VC

Start-ups zwischen Milliardenbewertung und Überlebenskampf

Milliardenstatus unter Druck: Deutsche Start-ups kämpfen mit dem Abschwung. Während der Pandemie explodierten die Bewertungen, nun geraten Einhörner ins Wanken. Welche Jungfirmen den Sprung an die Börse planen – und welche vor dem Absturz stehen.

Start-ups zwischen Milliardenbewertung und Überlebenskampf
Fast die Hälfte aller neuen Einhörner weltweit kommen aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz – Deutschland hinkt hinterher, während Länder wie die USA und China dominieren.

Es war einmal eine Zeit, da schien der deutsche Start-up-Markt wie ein endloser Wachstumsrausch. Milliardenbewertungen waren das Ziel, Investoren gaben sich die Klinke in die Hand, und junge Unternehmen träumten von IPOs, globaler Expansion und technologischen Revolutionen.

Doch seit der Pandemie hat sich das Blatt gewendet. Die Luft wird dünner, Einhörner sterben schneller, als neue geboren werden.

Die Statistik ist ernüchternd: Nur ein einziges deutsches Start-up – Egym, ein Anbieter für digitale Fitnesslösungen – hat 2024 den Sprung zur Milliardenbewertung geschafft.

Gleichzeitig verloren gleich drei Unternehmen ihren prestigeträchtigen Status als Einhörner: Das Versicherungs-Start-up Wefox, der Mietelektronik-Anbieter Grover und der Lieferdienst Flink rutschten bei neuen Finanzierungsrunden unter die Schwelle von einer Milliarde Dollar.

Das Versicherungs-Start-up Wefox und der Lieferdienst Flink verloren 2024 ihre Milliardenbewertung – ein Warnsignal für Deutschlands Jungunternehmen, die oft auf Wachstum um jeden Preis setzen.

Die Gründe? Hohe Zinsen, sinkende Investitionen und ein wirtschaftliches Umfeld, das auf Sparsamkeit statt Wachstum setzt. „Das Marktumfeld hat sich stark verändert“, erklärt Thomas Prüver, Partner bei EY. „Zwischen der letzten Finanzierungsrunde und einer späteren Transaktion kommt es oft zu deutlichen Abweichungen bei den Bewertungen.“

Verlust der Milliardenkrone: „Enthornung“ auf dem Vormarsch

Der Begriff „enthornt“ hat sich in der Start-up-Szene etabliert und beschreibt den Verlust des Einhorn-Status. Besonders schmerzhaft ist das für Unternehmen wie Flink, das mit Milliardenfinanzierungen als Pionier des Lebensmittelliefergeschäfts gefeiert wurde.

Doch Wachstum um jeden Preis war nicht nachhaltig. Nach Rückschlägen in der Logistik und höheren Betriebskosten bewerteten Investoren das Unternehmen neu – und drückten die Bewertung unter die symbolische Grenze.

Der Mietelektronik-Anbieter Grover verlor 2024 seine Milliardenbewertung – ein Rückschlag für ein Geschäftsmodell, das in der aktuellen Wirtschaftslage stärker unter Druck gerät.

Ähnlich erging es Grover, das mit seinem Mietmodell für Technikprodukte in der Pandemie boomte. Doch die stagnierende Nachfrage und die Konkurrenz durch günstigere Modelle anderer Anbieter setzten das Unternehmen unter Druck. Und auch bei Wefox haben sich die ambitionierten Wachstumspläne nicht wie erwartet realisiert – eine Warnung an andere Jungfirmen.

Einhörner in der Warteschleife: Wer könnte 2025 glänzen?

Trotz des aktuellen Abschwungs gibt es Hoffnung für 2025. Einige Start-ups stehen bereit, um sich die begehrte Milliardenbewertung zu sichern. Black Forest Labs, ein KI-Unternehmen aus Freiburg, gilt als vielversprechender Kandidat. Mit einer Finanzierungsrunde im kommenden Jahr könnte es das nächste deutsche Einhorn werden.

Auch der Markt für künstliche Intelligenz bleibt weltweit die zentrale Wachstumskraft. Laut einer Analyse von Newsworthydata entfallen fast die Hälfte aller neuen Einhörner 2024 auf KI-Themen.

Besonders Firmen wie Deepl oder Helsing, die bereits milliardenschwere Finanzierungsrunden abschließen konnten, zeigen, dass Deutschland in diesem Bereich konkurrenzfähig bleibt.

Doch Experten wie Julian Riedlbauer von der Investmentbank Drake Star mahnen: „Es braucht mehr Unterstützung und Investitionen, um in diesem Bereich international mitzuhalten.“

Profitabilität als neues Paradigma

Die goldenen Zeiten der großzügigen Finanzierungsrunden sind vorbei. Viele Start-ups müssen sich darauf konzentrieren, profitabel zu werden, um langfristig überleben zu können.

N26, einst als Vorzeige-Fintech gefeiert, erreichte 2024 erstmals ein positives Bruttoergebnis. Andere Unternehmen wie Raisin oder die Münchener Fitnessplattform Egym sind ebenfalls auf gutem Weg.


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Doch für viele bleibt die Profitabilität ein ferner Traum. Das Berliner Logistik-Start-up Forto beispielsweise hofft, bis 2025 schwarze Zahlen zu schreiben. Auch Unternehmen wie Contentful und Commercetools arbeiten an Sparplänen, um sich von externen Finanzierungen unabhängiger zu machen.

„Die Zeiten des blinden Wachstums sind vorbei“, so ein Branchenkenner. „Jetzt zählt, wer nachhaltig wirtschaftet.“

Der Börsengang als Rettung?

Ein IPO gilt traditionell als Ritterschlag für Start-ups. Doch derzeit scheuen viele deutsche Unternehmen den Gang an die Börse. Die wirtschaftliche Unsicherheit und die Zurückhaltung von Investoren bremsen diese Pläne aus.

Einige Firmen wie Personio oder Staffbase haben angekündigt, frühestens 2026 an die Börse gehen zu wollen. Andere wie Celonis, Deutschlands wertvollstes Start-up, verfolgen langfristige Strategien und nehmen sich bewusst mehr Zeit.

Einige wenige Ausnahmen bestätigen die Regel: Das Fintech Raisin könnte bereits 2025 an die Börse gehen, während der Anbieter erneuerbarer Energien 1Komma5 Grad noch Vorbereitungsschritte unternimmt. Doch die meisten Start-ups bleiben vorsichtig – auch, weil sich Finanzierungen durch Private Equity oder Secondaries derzeit als attraktiver erweisen.