16. November, 2024

Finanzen

Soli-Aus oder Soli-Pflicht? Der Streit um den Solidaritätszuschlag

Vor dem Bundesverfassungsgericht verteidigen SPD und Grüne den Solidaritätszuschlag als Finanzquelle für Klima und Verteidigung, während die FDP dessen Abschaffung fordert – ein milliardenschweres Urteil steht bevor.

Soli-Aus oder Soli-Pflicht? Der Streit um den Solidaritätszuschlag
Sollte das Bundesverfassungsgericht den Soli kippen, drohen dem Bund Rückzahlungen in Milliardenhöhe. Für den Haushalt wäre das eine erhebliche Belastung.

Ein jahrzehntealtes Thema neu aufgelegt

35 Jahre nach der Wiedervereinigung sorgt der Solidaritätszuschlag erneut für Streit. Vor dem Bundesverfassungsgericht steht nun die Frage, ob der „Soli“ weiterhin verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist – oder ob der Bund ihn längst hätte abschaffen müssen.

Die Kläger, eine Gruppe FDP-Politiker, fordern eine klare Entscheidung: Der Solidaritätszuschlag sei nicht mehr als eine Sonderabgabe für die Wiedervereinigung gedacht gewesen und müsse entfallen.

„Die historische Aufgabe ist erfüllt,“ lautet ihre Kernaussage. Henning Berger, Anwalt der FDP, betont: „Eine stille Umwidmung dieser Abgabe ist nicht verfassungskonform.“

SPD und Grüne argumentieren mit neuen Finanzlasten

Die Gegenposition vertreten SPD und Grüne, die auf den gestiegenen Finanzbedarf des Staates hinweisen.

Die Bundestagsabgeordneten Michael Schrodi (SPD) und Andreas Audretsch (Grüne) argumentieren, dass der Solidaritätszuschlag mehr denn je gebraucht werde – nicht nur für die Kosten der Wiedervereinigung, sondern vor allem für neue Aufgaben, wie Verteidigung und Klimaschutz.

„Die Herausforderungen sind gewachsen, nicht kleiner geworden,“ so Audretsch. Die rund zwölf Milliarden Euro jährlicher Einnahmen seien unverzichtbar, um die finanzielle Stabilität des Bundes zu sichern.

Der Solidaritätszuschlag bringt dem Bund jährlich etwa 12 Milliarden Euro ein, doch Kritiker sehen in ihm ein veraltetes Finanzierungsinstrument, das längst überholt ist.

Juristische Perspektiven und historische Vergleiche

Doch wie plausibel ist diese Argumentation? In der Verhandlung brachte die Vorsitzende Richterin Doris König die zentrale Frage auf den Punkt:

„Ist eine Abgabe wie der Soli noch mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn der ursprüngliche Anlass entfällt?“

Der Finanzhistoriker Henning Tappe wies darauf hin, dass es zahlreiche Präzedenzfälle für Steuern gibt, die weit über ihren ursprünglichen Zweck hinaus erhoben wurden – so etwa die Schaumweinsteuer, die seit mehr als 120 Jahren als „Sektsteuer“ erhalten blieb, obwohl die kaiserliche Flotte, die sie einst finanzierte, längst Geschichte ist.

Doch das Grundgesetz verlangt bei einer Ergänzungsabgabe eine besondere Rechtfertigung, wie Rechtsprofessor Hanno Kube erklärt: „Der Soli muss eindeutig begründet sein und darf nicht als Dauerlösung dienen.“


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Wer trägt die Last? Sozialer Aspekt der Abgabe

Befürworter des Soli, wie SPD und Grüne, argumentieren, dass die Abgabe seit 2021 nur noch von den einkommensstärksten zehn Prozent entrichtet wird und daher ein gerechtes Instrument sei, um Vermögensungleichheit entgegenzuwirken.

Doch die FDP-Politiker, die vor Gericht stehen, halten dies für einen „klassenkämpferischen“ Ansatz, der rechtlich nicht tragbar sei. Florian Toncar (FDP) argumentiert:

„Der Soli wurde eingeführt, um die Wiedervereinigung zu finanzieren, nicht um ein dauerhaftes Umverteilungsinstrument zu sein.“

Finanzpolitische Bedeutung und Risiko für den Bund

Für die Bundesregierung geht es um viel Geld – im Worst Case drohen Rückzahlungen von bis zu 66 Milliarden Euro, falls das Bundesverfassungsgericht den Solidaritätszuschlag rückwirkend für verfassungswidrig erklärt. Der Haushalt könnte durch ein solches Urteil massiv belastet werden.

Der Wirtschaftsprofessor Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hatte schon vor der Verhandlung festgestellt, dass der Soli „finanzpolitisch schwer zu rechtfertigen“ sei, da vereinigungsbedingte Kosten durch das bestehende Steuersystem ausgeglichen werden könnten.