Ein jahrzehntealtes Thema neu aufgelegt
35 Jahre nach der Wiedervereinigung sorgt der Solidaritätszuschlag erneut für Streit. Vor dem Bundesverfassungsgericht steht nun die Frage, ob der „Soli“ weiterhin verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist – oder ob der Bund ihn längst hätte abschaffen müssen.
Die Kläger, eine Gruppe FDP-Politiker, fordern eine klare Entscheidung: Der Solidaritätszuschlag sei nicht mehr als eine Sonderabgabe für die Wiedervereinigung gedacht gewesen und müsse entfallen.
„Die historische Aufgabe ist erfüllt,“ lautet ihre Kernaussage. Henning Berger, Anwalt der FDP, betont: „Eine stille Umwidmung dieser Abgabe ist nicht verfassungskonform.“
SPD und Grüne argumentieren mit neuen Finanzlasten
Die Gegenposition vertreten SPD und Grüne, die auf den gestiegenen Finanzbedarf des Staates hinweisen.
Die Bundestagsabgeordneten Michael Schrodi (SPD) und Andreas Audretsch (Grüne) argumentieren, dass der Solidaritätszuschlag mehr denn je gebraucht werde – nicht nur für die Kosten der Wiedervereinigung, sondern vor allem für neue Aufgaben, wie Verteidigung und Klimaschutz.
„Die Herausforderungen sind gewachsen, nicht kleiner geworden,“ so Audretsch. Die rund zwölf Milliarden Euro jährlicher Einnahmen seien unverzichtbar, um die finanzielle Stabilität des Bundes zu sichern.
Juristische Perspektiven und historische Vergleiche
Doch wie plausibel ist diese Argumentation? In der Verhandlung brachte die Vorsitzende Richterin Doris König die zentrale Frage auf den Punkt:
„Ist eine Abgabe wie der Soli noch mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn der ursprüngliche Anlass entfällt?“
Der Finanzhistoriker Henning Tappe wies darauf hin, dass es zahlreiche Präzedenzfälle für Steuern gibt, die weit über ihren ursprünglichen Zweck hinaus erhoben wurden – so etwa die Schaumweinsteuer, die seit mehr als 120 Jahren als „Sektsteuer“ erhalten blieb, obwohl die kaiserliche Flotte, die sie einst finanzierte, längst Geschichte ist.
Doch das Grundgesetz verlangt bei einer Ergänzungsabgabe eine besondere Rechtfertigung, wie Rechtsprofessor Hanno Kube erklärt: „Der Soli muss eindeutig begründet sein und darf nicht als Dauerlösung dienen.“
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Befürworter des Soli, wie SPD und Grüne, argumentieren, dass die Abgabe seit 2021 nur noch von den einkommensstärksten zehn Prozent entrichtet wird und daher ein gerechtes Instrument sei, um Vermögensungleichheit entgegenzuwirken.
Doch die FDP-Politiker, die vor Gericht stehen, halten dies für einen „klassenkämpferischen“ Ansatz, der rechtlich nicht tragbar sei. Florian Toncar (FDP) argumentiert:
„Der Soli wurde eingeführt, um die Wiedervereinigung zu finanzieren, nicht um ein dauerhaftes Umverteilungsinstrument zu sein.“
Finanzpolitische Bedeutung und Risiko für den Bund
Für die Bundesregierung geht es um viel Geld – im Worst Case drohen Rückzahlungen von bis zu 66 Milliarden Euro, falls das Bundesverfassungsgericht den Solidaritätszuschlag rückwirkend für verfassungswidrig erklärt. Der Haushalt könnte durch ein solches Urteil massiv belastet werden.
Der Wirtschaftsprofessor Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hatte schon vor der Verhandlung festgestellt, dass der Soli „finanzpolitisch schwer zu rechtfertigen“ sei, da vereinigungsbedingte Kosten durch das bestehende Steuersystem ausgeglichen werden könnten.