Die europäische Solarindustrie befindet sich in einer prekären Lage. Trotz dringender Diskussionen über mögliche Hilfsmaßnahmen in Brüssel konnte die EU-Kommissarin Mairead McGuinness am Montagabend keine konkreten Maßnahmen verkünden. Hinter den Kulissen werden jedoch Gespräche fortgesetzt.
Wer profitiert vom Billigimport aus China?
Die Stille in Brüssel spiegelt die Uneinigkeit wider, wie die EU der heimischen Solarindustrie in der schweren Zeit helfen kann. Die diskutierten Maßnahmen reichen von Soforthilfen bis hin zu handelspolitischen Schutzmaßnahmen wie Zöllen – ein umstrittener Ansatz in der Branche. Auch der „Net Zero Industry Act“ (NZIA) für saubere Technologien, der derzeit final verhandelt wird, bietet keine schnelle Lösung.
Erste Hersteller haben bereits angekündigt, die Produktion in Deutschland aufzugeben, da chinesische Hersteller Solarmodule zu Dumpingpreisen auf den Markt werfen.
EU-Kommission im Streit um Rettungsmaßnahmen
Die Krise der europäischen Solarindustrie verschärft sich weiter. Die Preise für Solarmodule sind innerhalb weniger Monate um mehr als 50 Prozent gefallen, da chinesische Hersteller die europäische Konkurrenz bei den Preisen um fast die Hälfte unterbieten. Dies führt zu einem ruinösen Preiskampf auf beiden Seiten.
In Europa, wo die Solarindustrie ohnehin nur noch aus wenigen Unternehmen besteht, melden erste Hersteller wie Norwegian Crystals Insolvenz an. Andere erwägen die Schließung ihrer Fabriken, da die Modulproduktion schlicht nicht mehr rentabel ist.
Obwohl die Nachfrage nach Solaranlagen auf einem Rekordhoch liegt, steht Europas Photovoltaik-Industrie vor dem Kollaps.
Europas Solarindustrie vor dem Kollaps
Die Probleme der Solarindustrie sind nur ein Beispiel für die Herausforderungen in der erneuerbaren Energiewirtschaft.
Die EU befindet sich in einem Dilemma: Sie möchte die heimische Industrie schützen, hat aber gleichzeitig ehrgeizige Ziele für den Ausbau erneuerbarer Energien. Einige EU-Stimmen befürchten, dass die Unterstützung europäischer Hersteller die Preise erhöhen und den Ausbau verlangsamen könnte.
Die Verhandlungen über den „Net Zero Industry Act“ zeigen, wie komplex die Suche nach Lösungen ist. Dieses Gesetz soll eine Antwort auf das massive Subventionsprogramm der USA für saubere Technologien, den „Inflation Reduction Act“ (IRA), bieten. Die EU befindet sich nicht nur im Wettbewerb mit China, sondern auch mit den USA.
Im März hatte die EU-Kommission einen Entwurf für den NZIA vorgelegt, der vorsieht, dass Europa bis 2030 40 Prozent seines Bedarfs an strategisch relevanten Technologien abdecken soll, um die Klimaziele zu erreichen. Dabei könnten beschleunigte Genehmigungsverfahren und bevorzugte europäische Firmen bei Ausschreibungen helfen.
EU im Wettlauf mit China und den USA: Kann Europa die Solarindustrie retten?
Die Verhandlungen mit dem EU-Parlament gestalten sich jedoch schwierig, da die Abgeordneten keine eng definierten Technologien bevorzugen möchten. Uneinigkeit herrscht auch darüber, ob Nachhaltigkeitskriterien bei öffentlichen Ausschreibungen eingehalten werden müssen, was europäische Anbieter bevorzugen würde, da sie bereits EU-Standards erfüllen müssen.
Hier konnten sich vor allem Frankreich und Deutschland nicht einigen, da Deutschland befürchtet, dass höhere Preise den Ausbau erneuerbarer Energien bremsen könnten.
Sogar wenn Kompromisse in diesen Streitpunkten gefunden werden, steht der NZIA vor einem grundlegenden Problem. Im Gegensatz zum IRA, der unbegrenzte Steuererleichterungen für Ansiedlungen in den USA bietet, gibt es für den NZIA keine neuen finanziellen Mittel.
„Der Net Zero Industry Act setzt hohe Ziele“, sagt Nils Redeker vom Thinktank Jacques Delors Centre. „Aber wie die EU diese Ziele erreichen will, ist angesichts der massiven Subventionen, die China und die USA in diese Sektoren stecken, noch unklar.“
Die EU plant, bis 2030 30 Gigawatt an Solarproduktionskapazitäten in heimischen Fabriken zu erreichen. Derzeit werden in Europa lediglich knapp neun Gigawatt an Solarmodulen hergestellt, während die weltweite Nachfrage im vergangenen Jahr schätzungsweise bei 400 Gigawatt lag, hauptsächlich gedeckt durch chinesische Anbieter.
Da der NZIA frühestens in zwei Jahren in Kraft treten würde, drängt die Industrie auf sofortige Maßnahmen. Vorschläge wie ein EU-geführter Aufkauf von Lagerbeständen, Anpassungen der Gesetze für staatliche Beihilfen und Änderungen der Regeln für Projektauktionen werden diskutiert.
Ein Zusammenschluss mehrerer Unternehmen aus Solar-, Chemie- und Glasindustrie hat die Politik dringend um Hilfsmaßnahmen für die kriselnden Hersteller gebeten. Nils Redeker vom Thinktank Jacques Delors Centre hält solche Maßnahmen als Überbrückung für sinnvoll.
Angesichts der ernsten Lage werden sogar Forderungen nach der Wiedereinführung von Zöllen auf chinesische Module laut. In der Solarbranche ist dieses Mittel jedoch stark umstritten, da es die Kosten für die Energiewende erhöhen könnte.