In einer Zeit, in der Vielfalt und Expertise in den Führungsetagen immer mehr an Bedeutung gewinnen, stellt sich die Frage: Wie offen und zugänglich sind eigentlich Positionen im Aufsichtsrat?
Eine umfassende Untersuchung durch die Wirtschaftswissenschaftler Werner Gleißner und Thomas Berger bietet aufschlussreiche Einblicke in diese Thematik.
Das Experiment: 111 Bewerbungen, ernüchternde Erkenntnisse
Berger und Gleißner, beide in ihrem Fachgebiet renommiert, wagten ein einzigartiges Experiment: Sie bewarben sich initiativ bei Aufsichtsratsvorsitzenden als neue Mitglieder – insgesamt 111 Mal. Ihr Fokus lag dabei auf Unternehmen aus MDax, TecDax oder SDax. Die Ergebnisse waren ernüchternd.
Sie stießen auf eine Welt, in der persönliche Netzwerke und Beziehungen oft entscheidend sind, und erhielten selten eine Antwort oder aussagekräftige Rückmeldung auf ihre Bewerbungen. Diese Erfahrungen legen nahe, dass der Zugang zu Aufsichtsratspositionen stark limitiert und oftmals nur über bestehende Netzwerke möglich ist.
Diversität und Professionalisierung in Aufsichtsräten
Die Debatte um die Zusammensetzung von Aufsichtsräten ist nicht neu. Kritikpunkte wie mangelnde Diversität, fehlende Expertise in Schlüsselbereichen wie Finanzen und KI sowie die Notwendigkeit einer stärkeren Unabhängigkeit prägen seit Jahren die Diskussion.
In diesem Kontext betonen Experten wie Hanns Goeldel von Egon Zehnder die gestiegene Professionalisierung in der Besetzung und Arbeit von Aufsichtsräten. Trotz der offensichtlichen Herausforderungen bei der Besetzung dieser Posten, zeichnet sich ein Trend hin zu mehr Diversität und einer systematischen Suche nach geeigneten Kandidaten ab.
Wie wird man Aufsichtsrat? Der Weg zum Erfolg
Eine Initiativbewerbung scheint selten der direkte Weg in den Aufsichtsrat zu sein. Erfolgversprechender ist der Aufbau eines starken Kompetenzprofils und eines umfassenden Netzwerks. Fachexpertise, Führungsfähigkeiten und Gremienerfahrung sind Schlüsselqualifikationen.
Personalberater raten Interessenten, sich sichtbar zu machen – sei es durch Fachvorträge oder Präsenz in sozialen Medien.
Gabriele Sons: Ein Beispiel für den erfolgreichen Weg in den Aufsichtsrat
Gabriele Sons, eine erfahrene Juristin und professionelle Multikontrolleurin, illustriert den anspruchsvollen Weg in den Aufsichtsrat. Trotz einer beeindruckenden Karriere gibt sie zu verstehen, dass es keinen vorgezeichneten Pfad oder eine Garantie für den Erfolg gibt.
Ihre Erfahrungen unterstreichen die Bedeutung von Fachwissen in Bereichen wie Finanzen, Digitalisierung und Nachhaltigkeit.
Bildung und Fortbildung: Schlüssel zum Erfolg
Fortbildung und kontinuierliches Lernen sind entscheidend für die Vorbereitung auf und die Ausübung von Aufsichtsratsmandaten. Verschiedene Institutionen bieten spezialisierte Seminare an, die nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch wertvolle Netzwerkkontakte ermöglichen können.
Dies wird auch durch die Erfahrungen von Personen wie Sophie Piëch, Mitglied des Aufsichtsrats bei Porsche SE, bekräftigt.
Die Rolle von Personalberatern und der Wert von Netzwerken
Führende Personalberatungen wie Egon Zehnder spielen eine zentrale Rolle bei der Vermittlung von Aufsichtsratsmandaten. Sie fungieren als Bindeglied zwischen potenziellen Kandidaten und Unternehmen und tragen so zur Bildung einer neuen Generation von Multiaufsichtsräten bei.
Diese Entwicklung zeigt, dass trotz der Herausforderungen und des hohen Wettbewerbs um Aufsichtsratspositionen Chancen für qualifizierte und engagierte Individuen bestehen.
Vergütung und Anreize im Aufsichtsrat
Einer der auffälligsten Aspekte der Aufsichtsratstätigkeit ist ihre Vergütung, die in den letzten Jahren signifikant angestiegen ist. Dies reflektiert nicht nur die steigende Verantwortung und das damit verbundene Haftungsrisiko, sondern auch die zunehmende Komplexität und Wichtigkeit dieser Rollen in der heutigen Wirtschaftswelt.
Gestiegene Vergütung als Spiegelbild gestiegener Verantwortung
Die DSW-Studie zeigt, dass die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder der Dax-Konzerne im Jahr 2022 um durchschnittlich 17,4 Prozent gestiegen ist. Dieser Trend wird voraussichtlich anhalten, insbesondere für Aufsichtsratsmitglieder ohne Leitungsfunktion und für Kontrolleure in kleineren Indizes wie MDax und SDax.
Für Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der DSW, ist diese Entwicklung eine logische Folge der gestiegenen Anforderungen und des erhöhten Haftungsrisikos für Aufsichtsräte.
Die Riege neuer Multiaufsichtsräte und ihre Vergütung
Die Etablierung einer neuen Generation von Multiaufsichtsräten spiegelt sich auch in ihrer Vergütung wider. Laut Kienbaum-Studie verdient ein Dax-Chefaufseher im Jahr 2022 durchschnittlich rund 380.000 Euro, während die Gehälter in MDax und SDax entsprechend niedriger ausfallen. Eulerpool hat berichtet.
Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Rolle eines Aufsichtsratsmitglieds zunehmend als eine verantwortungsvolle und anspruchsvolle Tätigkeit angesehen wird, die entsprechend entlohnt wird.
Die Bedeutung der Vergütung für die Attraktivität der Rolle
Sebastian Pacher, Vergütungsexperte und Partner bei Kienbaum, betont, dass eine angemessene Vergütung notwendig ist, um die Rolle attraktiv zu gestalten und geeignete Kandidaten anzuziehen. Dies gilt insbesondere für kleinere Unternehmen, die es oft schwerer haben, qualifizierte Bewerber für ihre Aufsichtsratsposten zu finden.
Die Herausforderungen und Chancen für angehende Aufsichtsräte
Für angehende Aufsichtsräte sind die Herausforderungen vielfältig. Die Positionen sind begehrt, und der Wettbewerb um sie ist intensiv. Gleichzeitig bieten sich Chancen für diejenigen, die über die erforderlichen Kompetenzen, das richtige Netzwerk und die Bereitschaft zur kontinuierlichen Weiterbildung verfügen.
Die Rolle eines Aufsichtsratsmitglieds ist heute mehr als nur eine Nebenbeschäftigung; es ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, die fachliches Wissen, Erfahrung und eine proaktive Haltung erfordert.
Die Zukunft der Aufsichtsräte: Diversität und Digitalisierung
Die sich wandelnde Landschaft der Aufsichtsräte bringt neue Herausforderungen und Chancen mit sich. Die Betonung liegt zunehmend auf Diversität, nicht nur in Bezug auf Geschlecht, sondern auch auf Fachwissen und internationale Erfahrung. Diese Entwicklung deutet auf einen umfassenden Wandel in der Art und Weise hin, wie Unternehmen ihre Führungsgremien gestalten und besetzen.
Diversität als Schlüssel zur Innovation und Relevanz
Die Forderung nach mehr Diversität in Aufsichtsräten ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch der betriebswirtschaftlichen Notwendigkeit. Diverse Gremien können vielfältigere Perspektiven und Erfahrungen einbringen, was zu innovativeren und relevanteren Entscheidungen führt.
Dies gilt insbesondere in einer globalisierten Welt, in der Unternehmen zunehmend grenzüberschreitend agieren und mit vielfältigen Kunden- und Stakeholder-Gruppen interagieren.
Digitalisierung und neue Kompetenzen
Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Evolution der Aufsichtsräte ist die zunehmende Bedeutung der Digitalisierung. Die Fähigkeit, digitale Trends und Technologien zu verstehen und darauf zu reagieren, wird immer wichtiger.
Dies schließt ein Wissen über Bereiche wie künstliche Intelligenz, Blockchain und Nachhaltigkeit ein, die alle zunehmend Einfluss auf die Geschäftsstrategie und -praxis nehmen.
Die Notwendigkeit kontinuierlicher Weiterbildung
Die Rolle eines Aufsichtsratsmitglieds erfordert eine kontinuierliche Weiterbildung, um mit den sich schnell verändernden Anforderungen Schritt zu halten. Dies umfasst nicht nur formale Bildungsangebote, sondern auch informelles Lernen und Netzwerken. Es ist entscheidend, dass Aufsichtsratsmitglieder ihre Kenntnisse und Fähigkeiten ständig aktualisieren, um effektiv zur strategischen Richtung und Überwachung eines Unternehmens beitragen zu können.
Die Bedeutung von Netzwerken und Beziehungen
Netzwerke spielen eine entscheidende Rolle beim Zugang zu Aufsichtsratspositionen. Die Bildung und Pflege von Beziehungen innerhalb der Branche und darüber hinaus kann entscheidend sein, um Aufmerksamkeit zu erregen und für Aufsichtsratspositionen in Betracht gezogen zu werden. Dies beinhaltet den Aufbau von Beziehungen zu etablierten Aufsichtsratsmitgliedern, Personalberatern und anderen Entscheidungsträgern.
Schlussfolgerungen und Ausblick
Die Landschaft der Aufsichtsräte ist im Wandel, geprägt von einem wachsenden Fokus auf Diversität, Digitalisierung und Professionalisierung. Die Herausforderungen für angehende Aufsichtsratsmitglieder sind groß, bieten aber auch erhebliche Chancen für diejenigen, die bereit sind, sich den sich verändernden Anforderungen anzupassen.
Die Zukunft der Aufsichtsräte sieht vielversprechend aus, mit einer stärkeren Betonung auf Vielfalt, digitaler Kompetenz und einem proaktiven Ansatz zur Weiterbildung und Netzwerkbildung.
Zusammenfassung und Schlussbetrachtung: Der Weg in den Aufsichtsrat
Die Erkenntnisse aus der Untersuchung von Gleißner und Berger, kombiniert mit den Aussagen von Branchenexperten, zeichnen ein komplexes Bild der Aufsichtsratslandschaft. Es ist eine Welt, in der traditionelle Netzwerke und Beziehungen eine wichtige Rolle spielen, aber gleichzeitig ein wachsender Bedarf an Diversität, Fachexpertise und digitalen Kompetenzen besteht.
Der Wandel der Aufsichtsratskultur
Die Aufsichtsratskultur in Deutschland und weltweit ist im Wandel begriffen. Die Zeiten, in denen Aufsichtsräte vorwiegend aus einem engen Kreis ausgewählt wurden, weichen langsam einer Ära, in der Diversität, Expertise und Unabhängigkeit geschätzt werden. Dieser Wandel wird teilweise durch gesellschaftliche und politische Forderungen nach mehr Vielfalt und Transparenz, aber auch durch die zunehmende Komplexität der globalen Wirtschaft getrieben.
Bedeutung von Qualifikation und Sichtbarkeit
Die Qualifikation für eine Aufsichtsratsposition hängt zunehmend von spezifischen Kompetenzen und Erfahrungen ab. Kandidaten, die in Schlüsselbereichen wie Finanzen, Digitalisierung und Nachhaltigkeit Expertise vorweisen können, sind besonders gefragt. Gleichzeitig ist es wichtig, in relevanten Kreisen sichtbar zu sein – sei es durch öffentliche Auftritte, Veröffentlichungen oder die aktive Teilnahme an branchenrelevanten Diskussionen und Netzwerken.
Netzwerke und Fortbildung als Schlüssel zum Erfolg
Der Aufbau eines starken beruflichen Netzwerks und die kontinuierliche Fortbildung sind entscheidend für den Erfolg in der Welt der Aufsichtsräte. Seminare, Zertifikatskurse und informelle Bildungsmöglichkeiten bieten nicht nur wertvolles Wissen, sondern auch Gelegenheiten zum Networking und zur Sichtbarkeit in der Branche.
Fazit: Herausforderungen und Chancen
Der Weg in den Aufsichtsrat ist herausfordernd, doch er bietet auch große Chancen für diejenigen, die bereit sind, sich den Anforderungen zu stellen. Die Landschaft der Aufsichtsräte entwickelt sich weiter, und mit ihr entstehen neue Möglichkeiten für diverse und kompetente Führungskräfte, die einen Unterschied machen wollen.
Die InvestmentWeek bleibt am Puls dieser Entwicklungen und bietet weiterhin tiefgehende Analysen und Einblicke in die sich wandelnde Welt der Unternehmensführung und -überwachung.
Mit unserer Berichterstattung unterstützen wir unsere Leser dabei, informierte Entscheidungen zu treffen und sich erfolgreich in der dynamischen Landschaft der Unternehmensführung zu bewegen.