Handwerk hat goldenen Boden – und Servicetitan will darauf bauen. Der kalifornische Softwareanbieter, der Handwerksbetrieben den digitalen Sprung erleichtert, hat vergangene Woche seinen Börsengang hingelegt. Die Bewertung? Stolze sechs Milliarden Dollar.
Das Unternehmen verspricht Wachstum in einer Branche, die vom digitalen Wandel bisher kaum erfasst wurde. Doch Servicetitan steht unter Druck: steigende Kosten, schwindendes Umsatzwachstum und eine operative Verlustmarge von 30 Prozent werfen Fragen auf.
Von der Garage zur Milliardenmarke
Gegründet 2012 von Ara Mahdessian und Vahe Kuzoyan, startete Servicetitan als ein kleines Projekt, um ihren Handwerker-Vätern das Leben zu erleichtern. Heute nutzen mehr als 8.000 Unternehmen die Software, um Termine zu koordinieren, Rechnungen zu stellen und Kundendaten zu verwalten.
Eine einfache Idee, die den Nerv einer analog gebliebenen Branche trifft: Viele Handwerksbetriebe hantieren noch immer mit Excel-Tabellen oder Notizzetteln.
Das große Potenzial liegt darin, die vielen kleinen Betriebe in die digitale Welt zu führen – eine Aufgabe, die im US-Handwerk einem unerschlossenen Milliardenmarkt gleicht.
Hohe Erwartungen, niedrige Effizienz
Die Zahlen offenbaren jedoch eine weniger glänzende Seite: 570 Millionen Dollar Umsatz im vergangenen Jahr – ein Plus von fast 30 Prozent. Doch dieses Tempo flacht ab: Im ersten Halbjahr 2024 betrug das Umsatzwachstum nur noch 24 Prozent. Gleichzeitig pumpt Servicetitan enorme Summen in Marketing und Vertrieb, was sich in einer Verlustmarge von 30 Prozent niederschlägt.
Ein Teil des Problems: Der Wettbewerb bei Softwarelösungen ist hart. Produkte lassen sich schnell nachbauen, und die Vertriebskosten bleiben hoch. Ein Analyst kommentiert trocken:
„Das Geschäftsmodell mag einfach sein – der Weg zur Profitabilität ist es nicht.“
Mehr Fintech als Software?
Was Servicetitan dennoch interessant macht, ist seine Strategie: Neben klassischer Handwerkersoftware tritt das Unternehmen zunehmend als Fintech-Anbieter auf. Rechnungen per SMS verschicken? Kartenzahlung vor Ort? Kredite für teure Anschaffungen vermitteln? All das gehört längst zum Geschäftsmodell – und schafft stabile Einnahmen, die nicht von den Softwareverkäufen abhängen.
Diese Erweiterung könnte langfristig die Rettung sein. Denn während der Softwaremarkt hart umkämpft ist, bietet das Fintech-Geschäft konstante Erträge und lockt zusätzliches Kapital.
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Was Deutschland lernen kann
Servicetitan ist bisher ein rein amerikanisches Phänomen. Doch die Expansion nach Europa scheint nur eine Frage der Zeit. Mit über 500.000 Handwerksbetrieben und einem Umsatzvolumen von rund 720 Milliarden Euro ist Deutschland der logische nächste Schritt.
Hierzulande buhlen längst Anbieter wie Hero um Marktanteile. Das Start-up aus Hannover digitalisiert bereits über 20.000 Handwerksbetriebe und kommt zusammen auf einen Umsatz von 3,1 Milliarden Euro jährlich. Im Sommer sammelte Hero weitere 40 Millionen Euro ein, um das Geschäft auszubauen. Auch eigene Finanzprodukte sollen folgen – Servicetitan lässt grüßen.
Daneben mischen kleinere Anbieter wie Plancraft mit, die auf Unterstützung von prominenten Investoren wie Creandum zählen. Die deutsche Szene ist wachsam: Servicetitan könnte entweder ein starker Wettbewerber werden – oder ein lukrativer Käufer.