31. März, 2025

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Schein statt Selbstständig? Engel & Völkers im Visier der Ermittler

Wegen des Verdachts auf systematische Scheinselbstständigkeit durchsuchen Ermittler Büros des Maklerriesen Engel & Völkers. Auf der Beschuldigtenliste stehen auch Spitzenmanager – darunter der CEO selbst. Was hinter den Vorwürfen steckt und welche Folgen drohen.

Schein statt Selbstständig? Engel & Völkers im Visier der Ermittler
Von den weltweit rund 16.700 für Engel & Völkers tätigen Personen ist laut Unternehmensangaben nur ein Bruchteil fest angestellt. Der Großteil arbeitet auf selbstständiger Basis – ein Modell mit rechtlichen Risiken.

Die Markenfassade bröckelt

Am 10. Dezember 2024 kam es knüppeldick: Mehr als 300 Beamte der Finanzkontrolle Schwarzarbeit durchsuchten die Hamburger Zentrale und 17 weitere Standorte von Engel & Völkers.

Der Vorwurf: systematischer Sozialabgabenbetrug. Ermittelt wird wegen Scheinselbstständigkeit in der Zusammenarbeit mit Immobilienmaklern – einem zentralen Element im Geschäftsmodell des Franchiseriesen.

Ein ganzes System auf dem Prüfstand

Im Kern steht eine Grundsatzfrage: Wie selbstständig sind Makler, wenn sie in den operativen Ablauf eines Unternehmens eingebunden sind, Weisungen erhalten, auf einheitliche IT-Systeme zugreifen – und trotzdem als freie Unternehmer geführt werden?

Nach Recherchen des Manager Magazins richtet sich der Verdacht nicht mehr nur gegen einzelne Lizenznehmer. Auch Top-Manager der Holding sollen involviert sein. Genannt werden unter anderem Finanzchef Frederick von Pistohlkors, DACH-Manager Till-Fabian Zalewski und CEO Jawed Barna. Ihnen wird Beihilfe vorgeworfen.

Die offizielle Verteidigungslinie des Unternehmens: Kein systematisches Fehlverhalten, volle Kooperation, und bislang kein konkreter Vorwurf gegen Einzelpersonen. Doch das ist eher juristische Pflichtkommunikation als glaubhafte Entwarnung.

Das System Engel & Völkers

Das Unternehmen operiert seit Jahren nach einem weltweit ausgerollten Franchisemodell. Lizenznehmer erwerben gegen Gebühr die Markenrechte und übernehmen das Geschäft vor Ort – rechtlich selbstständig, aber eng eingebunden in Markenführung, Strukturen und Prozesse.

Tatsächlich stehen viele dieser Makler unter erheblichem wirtschaftlichem und organisatorischem Druck: Courtageziele, einheitliche Marketingvorgaben, zentralisierte Plattformen. Wer genau hinschaut, erkennt eine Struktur, die mit echter Selbstständigkeit oft wenig zu tun hat.

Trotz eines Courtageumsatzes von 1,24 Milliarden Euro im Jahr 2024 drohen Engel & Völkers Millionenforderungen – sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten. Sozialversicherungsbeiträge könnten rückwirkend fällig werden.

Das Modell hat Charme – vor allem für das Unternehmen selbst. Denn wer formal selbstständig ist, verursacht keine Sozialabgaben. Doch genau hier liegt das juristische Risiko. Und das könnte teuer werden.

Was droht bei Scheinselbstständigkeit?

Die rechtlichen Konsequenzen sind erheblich. Wird eine Scheinselbstständigkeit festgestellt, müssen Arbeitgeber alle nicht gezahlten Beiträge zur Sozialversicherung nachträglich entrichten – teilweise rückwirkend für Jahre. Zusätzlich drohen Geldstrafen oder Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren, wenn vorsätzlicher Betrug festgestellt wird.

Für Engel & Völkers bedeutet das: nicht nur ein finanzielles Risiko in Millionenhöhe, sondern auch ein Reputationsschaden in einer Branche, in der Vertrauen das zentrale Gut ist.

Ein Risiko für die ganze Branche

Was Engel & Völkers droht, könnte auch andere treffen. Denn das Maklermodell mit selbstständigen Handelsvertretern ist in Deutschland weit verbreitet. Andere große Player wie von Poll, Dahler oder Re/Max arbeiten ebenfalls mit ähnlichen Strukturen.

Sollte es zu einer juristischen Neubewertung kommen – insbesondere durch ein Grundsatzurteil –, wären die Folgen weitreichend. Dann ginge es nicht mehr nur um Nachzahlungen, sondern um ein mögliches Umdenken in der gesamten Vermittlungsbranche.

Viel Marke, wenig Schutz

Nach eigenen Angaben beschäftigt Engel & Völkers weltweit rund 16.700 Personen in 35 Ländern. Nur ein Bruchteil davon ist fest angestellt. In der Kommunikation betont das Unternehmen gerne seine Internationalität und Exklusivität – mit dem 2024 erzielten Courtageumsatz von 1,24 Milliarden Euro im Rücken.

Doch was als unternehmerisches Erfolgsmodell verkauft wird, basiert auch auf einem Geschäftsgebaren, das mitunter gezielt soziale Absicherung umgeht. Ein klassischer Zielkonflikt zwischen Rendite und Regulierung.

Die Debatte ist überfällig

Ob es am Ende zu einer Anklage kommt, bleibt offen. Doch der Fall ist ein Weckruf – für Politik, Aufsichtsbehörden und die gesamte Branche. Die Grenze zwischen Unternehmertum und Auslagerung von Risiken auf Einzelpersonen wird oft bewusst verwischt. Nicht immer ist das rechtlich strafbar – aber in vielen Fällen rechtlich fragwürdig.

Wenn Marken wie Engel & Völkers, die sich als Premiumanbieter inszenieren, gleichzeitig zentrale Verantwortung auf vermeintlich selbstständige Makler auslagern, wird es Zeit für eine offene Debatte: über moderne Arbeitsmodelle, über soziale Fairness – und über das, was unternehmerische Verantwortung heute eigentlich bedeuten sollte.

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