Die russische Zentralbank hat den Leitzins erneut drastisch angehoben: Um zwei Prozentpunkte auf 21 Prozent, ein Niveau, das Russland seit über 20 Jahren nicht mehr gesehen hat. Angesichts einer steigenden Inflation will die russische Zentralbank unter Elvira Nabiullina damit die Kontrolle über die Preisstabilität zurückgewinnen – doch das hat einen hohen Preis.
Denn während weltweit die Zinsen gesenkt werden, geht Russland einen gefährlichen Weg.
„Der Zinsschritt zeigt das wahre Problem der russischen Wirtschaft,“ erklärt Vasily Astrov vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. „Die Inflation steigt, und der Kampf gegen sie wirkt zunehmend verzweifelt.“
Trotz einer scheinbar boomenden Wirtschaft und hohen Einnahmen aus dem Rohstoffexport wird der Anstieg der Preise zu einer immer größeren Bedrohung.
Ein Kampf gegen die Geister der Inflation
Russlands Wirtschaftswachstum übertrifft die Erwartungen, und das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legt seit 2023 kontinuierlich zu. Allein in diesem Jahr hat der Internationale Währungsfonds die Wachstumsprognose mehrmals nach oben korrigiert – von 1,1 Prozent im Vorjahr auf aktuell 3,6 Prozent.
Doch die Statistik verdeckt die wachsenden wirtschaftlichen Risiken: Der Preisdruck ist hoch, die Löhne steigen rasant, und viele Unternehmen sind an ihrer Kapazitätsgrenze.
Die Zinserhöhung auf 21 Prozent mag drastisch erscheinen, doch Experten wie Roland Götz von der Freien Universität Berlin sind nicht überrascht.
„Die Zentralbank versucht, die Inflation einzudämmen, hat aber kaum Spielraum, weil das Budget des Staates die Preise immer weiter anheizt,“ so Götz.
Seit Beginn des Ukraine-Kriegs hat der russische Staat seine Sparpolitik aufgegeben und pumpt die Einnahmen massiv in den Markt, vor allem in die Rüstungsindustrie und hohe Löhne für Rekruten.
Kriegsbudget als Inflationsmotor
Das russische Staatsbudget wird zunehmend zur treibenden Kraft hinter der Inflation. Allein die Verteidigungsausgaben stiegen seit 2023 um 70 Prozent und erreichen nun über 10 Billionen Rubel.
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Mit hohen Gehältern versucht der Staat, Soldaten zu rekrutieren und die Rüstungsproduktion anzukurbeln – eine Maßnahme, die den Arbeitsmarkt ausdünnt und die Löhne im gesamten Land in die Höhe treibt. Die Folge: Rekordtief bei der Arbeitslosigkeit und ein Lohnwachstum von fast 19 Prozent im ersten Halbjahr.
Die Inflation wird nicht nur durch höhere Löhne, sondern auch durch steigende Kosten für Transport, Konsumgüter und Dienstleistungen angeheizt. „Das Budget wirkt wie ein Dampfkessel voller Geld, das durch die Inflation entweicht.“
Preissteigerungen und die wahre Inflation
Die offizielle Inflationsrate liegt inzwischen bei 9,8 Prozent – weit entfernt vom Zielwert der Zentralbank von vier Prozent. Doch viele Russen spüren eine deutlich höhere Preissteigerung.
„Die gefühlte Inflation ist ein ganz anderes Bild,“ betont Vjugin. Bustickets haben sich nahezu verdoppelt, Preise für Dienstleistungen und Lebenshaltungskosten sind drastisch gestiegen, während Lohnerhöhungen die Kaufkraft nur teilweise abfedern.
Besonders die kommunalen Abgaben haben in manchen Regionen einen Anstieg von bis zu 40 Prozent erfahren.
Zinspolitik im Dilemma – was bleibt der Zentralbank?
Die russische Zentralbank hat in den letzten Monaten ein drastisches Zinserhöhungsprogramm durchlaufen. Innerhalb weniger Monate stieg der Leitzins von 16 auf 21 Prozent – eine Abwehrstrategie gegen die steigende Geldmenge und den Preisdruck.
Doch selbst die Notbremse der Zinspolitik scheint ihre Wirkung zu verlieren. Der Zinsschock könnte das Wirtschaftswachstum verlangsamen und die Investitionsbereitschaft der Privatwirtschaft untergraben.
Die hohe Zinslast trifft vor allem private Unternehmen, die nun ihre Investitionen zurückfahren. Die Gefahr einer Stagflation – also einer stagnierenden Wirtschaft bei anhaltend hoher Inflation – wird zunehmend real.
Zukunftsaussichten – eine tickende Zeitbombe?
Die Zentralbank unter Nabiullina setzt auf eine Stabilisierung der Wirtschaft durch eine massive Abkühlung. Doch angesichts der steigenden Staatsausgaben und des steigenden Preisniveaus bleibt der Erfolg fraglich. Der Internationale Währungsfonds korrigierte die Wachstumsprognose für 2025 von 1,5 auf 1,3 Prozent – ein Warnzeichen.
Die Zentralbank selbst erwartet eine Inflationsrate von bis zu fünf Prozent für das kommende Jahr, was auf eine langanhaltende Phase wirtschaftlicher Instabilität hindeutet.